Martin Klinger ist neuer Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Im Interview spricht er über die Bedeutung des Handwerks und seine Ziele.

Die Kreishandwerkerschaft hat einen neuen Geschäftsführer. Rechtsanwalt Martin Klinger aus der Kanzlei Beestermöller, Dr. Sturm & Partner, hat die Aufgabe zum Monatsbeginn übernommen. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert er, welche Chancen und Probleme er im Handwerk sieht.

Warum haben Sie die Geschäftsführung der Kreishandwerkerschaft übernommen?

Klinger: Die Kreishandwerkerschaft braucht einen Juristen in der Geschäftsführung. Außerdem gab es für mich schon früh Berührungen zum Handwerk, weil mein Vater Handwerksmeister ist und 20 Jahre einen Innungsbetrieb in Herne führte. Er hat in dieser Zeit auch Lehrlinge ausgebildet. Deshalb ist es für mich als Anwalt nicht so, dass ich zuvor keine Berührungspunkte zum Handwerk gehabt hätte. Ich stehe aber auch meinen Mandanten weiter zur Verfügung.

Wenn Sie das Handwerk schon kennen, dann können Sie ja sicher auch sagen, ob das Handwerk immer noch goldenen Boden hat.

Das glaube ich schon, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das Handwerk nicht zu Unrecht als die Wirtschaftsmacht in unserem Land bezeichnet wird. Wenn man sich die Summe der Betriebe anschaut und die Anzahl der Mitarbeiter, dann wird man nicht umhin können zu sagen, hier wird wirtschaftlich etwas bewegt an Umsatz, Bruttosozialprodukt und Wertschöpfung, was sich in der Summe mit den ganz Großen der Industrie messen lassen kann.

Und im Gebiet der Kreishandwerkerschaft?

Wenn wir das auf Herne, Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel herunterbrechen, dann haben wir immerhin zwölf Fachinnungen, und wir reden von über 1800 Handwerksbetrieben und handwerksähnlichen Betrieben mit entsprechend vielen Mitarbeitern. So wird die Bedeutung des Handwerks eigentlich schon deutlich.

Ist die Bedeutung auch der Stadt Herne klar? In der Vergangenheit gab es die Klage, dass ortsansässige Betriebe viele städtische Aufträge nicht mehr bekommen haben.

Über die Vergangenheit kann ich nichts sagen, weil ich erst eine Woche im Amt bin, ich habe aber als festen Punkt auf meiner To-do-Liste, bei den Kommunen Herne und Castrop-Rauxel einen möglichst guten und engen Kontakt zu pflegen. So ist ein Gespräch mit den Behördenleitern genauso vorgesehen wie mein Antrittsbesuch beim Oberbürgermeister. Ich werde das in meiner Macht stehende tun, um die Beziehung zwischen Kommune und Handwerk in jedem Fall zu stärken und zu verbessern. Dies mit dem Ziel, dass das örtliche Handwerk davon profitiert. Durch Aufträge, aber auch durch gemeinsame Projekte, die man anstoßen kann.

Die Integration von Flüchtlingen ist zurzeit ein großes Thema. Welche Rolle kann das Handwerk dabei übernehmen?

Die Integration ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Und es ist auch Aufgabe der Kreishandwerkerschaft als Organ des öffentlichen Lebens, sich darum zu kümmern. Persönlich sehe ich es auch deshalb als wichtig an, weil es heute schon Nachwuchssorgen im Handwerk gibt. Im Kammerbezirk gibt es immer noch über 500 offene Lehrstellen. Das zeigt, dass ein Bedarf besteht, möglicherweise auch, weil die Schulausbildung manchmal am originären Bedarf des Handwerks vorbeigeht. Vielleicht, weil die Interessen der Schüler zunehmend in Richtung Studium gehen. Da kann durch Migranten eine Lücke gefüllt werden. Und wo kann Integration besser stattfinden als am Arbeitsplatz, wenn man mal vom Sportverein absieht? Da muss man das Problem beim Schopf packen. Bei Jugendlichen ist Integration leichter als bei Erwachsenen, weil sie noch offener sind. Da sehe ich die Aufgabe und auch die Chance. Aber auch ältere Flüchtlinge sind mitunter schon sehr qualifiziert und damit interessante Arbeitnehmer.

Bleiben wir bei den Jugendlichen. Sollten Meister mehr auf die Fähigkeiten als aufs Zeugnis bei der Auswahl der Auszubildenden achten?

Der Meister muss in erster Linie die Bewerber und ihre Neigung in den Mittelpunkt stellen, ihre Fähigkeiten und ihre menschliche Grundeinstellung, bevor er sich die Zeugnisnoten ansieht. Es wäre Unsinn zu behaupten, dass das Beherrschen der deutschen Sprache und der Mathematik unwichtig wäre, aber ich denke, dass viele Handwerksmeister durchaus den Fokus haben, die Fähigkeiten und Potenziale der Bewerber in den Mittelpunkt zu rücken. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, Praktika anzubieten. Dafür möchte ich ausdrücklich werben. So können gegenseitige Vorurteile und Schwellen abgebaut werden. Praktika sind für beide Seiten wichtig, für die Jugendlichen insbesondere, um die Vielfältigkeit des Handwerks und die Möglichkeiten kennenzulernen.

Trägt zur hohen Zahl der noch offenen Lehrstellen auch bei, dass immer mehr junge Menschen Richtung Studium streben und das Handwerk links liegen lassen?

Das eine muss das Andere gar nicht ausschließen. Das ist aber nicht hinreichend bekannt. Das Handwerk bietet zahlreiche Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten. Ich kann in dualen Ausbildungen die Tätigkeit im Handwerk mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung verbinden, bis hin zum Erwerb eines Bachelor oder Masterabschlusses. Daneben hat man die Möglichkeit, sich zum Techniker oder Sachverständigen fortzubilden. Es gibt also ganz viele Perspektiven und Chancen, die einigen Jugendlichen offensichtlich noch nicht klar sind.

Wie sehen Sie die generellen politischen und ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen für das Handwerk?

Das Handwerk ist, ähnlich wie die Industrie, mit einer ganzen Anzahl von Vorschriften, Verordnungen und Richtlinien belastet und überlastet. Überlastet, weil es ja das erste Interesse eines Handwerksmeisters ist, seine Auftragslage in Ordnung zu haben und für sich und seine Mitarbeiter einen Betrieb zu führen, der am Ende einen Gewinn abwirft. An dieser Stelle bietet die Kreishandwerkerschaft ihre Unterstützung an, zum Beispiel im Umgang mit Behörden, in der Interpretation von Tarifrecht, etwa beim Mindestlohn, im Umgang mit Genehmigungsverfahren oder der Hilfe bei der Gestaltung bei Verträgen.

Das kann man auch als Plädoyer verstehen, einer Innung beizutreten. Die Zahl der angeschlossenen Betriebe in der Kreishandwerkerschaft ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken...

...das ist teilweise richtig, auch, weil manche Betriebe die Kosten scheuen. Aber diese Betriebe sehen nicht die Vorteile, auch finanziell, die dahinter stehen. Für seinen Beitrag erhält man eine breite Angebotspalette an Leistungen. Da relativiert sich der Beitrag. Und die Mitgliedschaft in der Innung ist keine Einbahnstraße. Die Betriebe können nicht nur Leistungen anfordern, sondern sich auch aktiv einbringen und so mitgestalten, um so das Handwerk positiv zu erneuern und nach vorne zu bringen.

Wie können und wollen Sie die Kreishandwerkerschaft nach vorne bringen?

Ich denke, es wird meine Aufgabe sein, eine neue Denkweise auf den Weg zu bringen. Wir haben so viele Mitglieder und so viel Potenzial im Handwerk. Diese Bedeutung des Handwerks muss bei der Politik und in das Bewusstsein der Bevölkerung transportiert werden. Um auf den Anfang zurückzukommen: Handwerk hat goldenen Boden, aber es ist nicht allen bewusst. Das Bild positiv zu verändern und den Wert der Arbeit der Handwerksbetriebe in den Vordergrund zu rücken, sehe ich als meine ganz wesentliche Aufgabe.