Herne. . Rochus Wellenbrock, Geschäftsführer der Werkstätten für Behinderte, ist der Meinung, dassdas Teilhabegesetz zu spät kommt und zu kurz greift.

Selbstbestimmt leben gilt als Selbstverständlichkeit. Selber zu bestimmen, wo man wohnen und arbeiten möchte, gilt als aktive Teilhabe am Leben. Für Menschen mit Behinderung war diese Selbstbestimmung bislang nicht uneingeschränkt möglich.

Das geplante Bundesteilhabegesetz (BTHG), das vom Bundeskabinett vor der Sommerpause verabschiedet wurde und nun in die parlamentarische Beratung geht, soll gewährleisten, dass es weg von der Fürsorgebetreuung hin zur rechtlich verankerten Selbstbestimmtheit geht. Rochus Wellenbrock, Geschäftsführer der Werkstätten für Behinderte (WfB), hat mit der WAZ über dieses Vorhaben gesprochen und erklärt, warum es zwar einerseits ein Quantensprung ist, anderseits aber viel zu spät kommt und zu kurz greift.

„Man muss vorausschicken, dass dieses neue Gesetz die längst fällige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist, die in Deutschland bereits 2009 ratifiziert wurde“, erklärt Rochus Wellenbrock, der den Vorstoß sehr begrüßt. „Das Schöne ist wirklich, dass wir weg kommen vom reinen Fürsorgegedanken zum Rechtsanspruch.“ Dies bedeute für die Menschen mit Behinderung einen Quantensprung. Gleichzeitig werde ein Paradigmenwechsel eingeleitet.

Das neue BTHG werde eine Änderung beim Klientel mit sich bringen. Zurzeit sei es so, dass Menschen mit Behinderung in der Werkstatt arbeiten, die ihrem Wohnort am nächsten liegt. „Mit dem neuen Gesetz, kann jeder künftig selbst wählen, wo er arbeiten möchte – und das nicht nur in Werkstätten, sondern auch bei anderen Anbietern.“ So werde ermöglicht, dass jemand, der seine Ausbildung beispielsweise in einem Café machen möchte, sich einen passenden Platz suchen kann.

Furcht vor Problemen für Betroffene

Genau an dieser Stelle befürchtet Rochus Wellenbrock aber Probleme, die sich nachteilig auf die Betroffenen auswirken können. Die Arbeits-Rahmenbedingungen in der WfB seien seit 40 Jahren erprobt. „Wir sind verpflichtet, Persönlichkeitsbildung zu unterstützen. Diese Pflicht haben künftig andere Anbieter nicht und können Kosten und Zeit sparen.“ Zu befürchten sei, dass die Menschen mit Behinderung einfach ins kalte Wasser geworfen werden und niemanden haben, der sie betreut. Das neue Gesetz sehe auch vor, dass die Werkstätten verpflichtet sind, die Menschen wieder aufzunehmen, wenn sie auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht bestehen. Auch soll die Festlegung der Rahmenbedingungen Ländersache sein. „Das ist der falsche Weg und keineswegs förderlich“, betont Wellenbrock. „Der Gesetzesentwurf ist halbgar und nirgends ist klar definiert, dass die gleichen Bedingungen für alle herrschen müssen, damit die Menschen mit Behinderung nicht auf der Strecke bleiben.“