Herne. . Die vier Bezirksbürgermeister sprechen über ihre Arbeit, das Verhältnis zur Stadt, die Resonanz von Bürgern, Probleme in den Bezirken und mehr.
Vier Bürgermeister an einem Tisch – das kommt nicht alle Tage vor und ist nicht einfach zu organisieren.
Für die WAZ fanden die sozialdemokratischen Bezirksbürgermeister Ulrich Koch (Wanne), Martin Kortmann (Eickel), Dieter Brüggemann (Herne-Mitte) und Mathias Grunert (Sodingen) dann aber doch einen gemeinsamen Termin.
Alle vier in einer Runde. Gibt es diese Konstellation häufiger? Tauschen Sie sich untereinander aus?
Koch: Diese Konstellation gibt es sonst nicht, abgesehen von dem jährlichen Treffen mit dem neuen Oberbürgermeister.
Hat sich für Sie seit der Wahl von Frank Dudda zum Oberbürgermeister etwas geändert?
Brüggemann: Nein, es hat sich nichts geändert.
Grunert: Doch, es hat sich schon etwas geändert. Uns war es immer ein Anliegen, dass Verantwortliche der Stadtverwaltung zu uns in die Sitzungen der Bezirksvertretung kommen, damit da nicht nur Antworten verlesen werden. Frank Dudda hat uns da den Rücken gestärkt.
Kortmann: Letztendlich entscheidet der Bezirksbürgermeister, ob jemand aus der Verwaltung in die Sitzungen kommt. Das funktioniert.
Wie würden Sie das aktuelle Verhältnis zur Verwaltung beschreiben: Kooperation oder Konfrontation?
Kortmann: Es ist eher ein Miteinander. Es ist schon mal vorgekommen, dass wir bei bestimmten Themen nicht einbezogen worden sind. Das war jedoch weniger ein bewusstes Übergehen als ein Vernachlässigen. Das hat sich aber wieder geändert.
Koch: Die Bezirksvertretungen sind 1975 aus Gründen der Bürgernähe geschaffen worden. Die Räte sind oft zu groß und zu weit weg.
Aus dem „Bezirksvorsteher“ ist vor einigen Jahren der „Bezirksbürgermeister“ geworden. Macht sich diese Begriffsänderung bemerkbar?
Brüggemann: Die Bürger konnten mit „Bezirksvorsteher“ nichts anfangen.
Koch: Das hörte sich auch nach Bahnhofsvorsteher an.
Kortmann: Es passierte schon mal, dass wir mit dem Satz „Da kommt der Mann von der Verwaltung“ begrüßt wurden.
Brüggemann: Der Bezirksbürgermeister hat schon einen anderen Stellenwert.
Herr Koch, Herr Brüggemann, Sie sind beide schon sehr lange im Amt. Was hat sich in all den Jahren verändert?
Koch: Die Bürger sind mündiger geworden. Heute wird sehr viel mehr nachgefragt. Das ist mir auch lieb so.
Herr Grunert, Sie sind Nachfolger von Henny Marquardt. War es schwierig, in ihre Fußstapfen zu treten?
Grunert: Das waren sehr große Fußstapfen. Es ist beachtlich, wie viele Termine man als Bezirksbürgermeister wahrzunehmen hat. Ich habe aber das Glück, dass häufig bei Einladungen und Terminen darauf Rücksicht genommen wird, dass ich berufstätig bin. Dieses Amt ist fordernd, aber auch bereichernd.
Wie ist das Verhältnis zu den Ratsfraktionen und insbesondere zur Fraktion Ihrer Partei. Haben Sie das Gefühl, von oben herab behandelt zu werden?
Koch: Nein, überhaupt nicht. Die Bezirksbürgermeister und die SPD-Bezirksfraktions-Sprecher nehmen regelmäßig an den Sitzungen der SPD-Ratsfraktion teil. Wir geben dort unseren Senf dazu und finden auch Gehör.
Die Zahl der Bezirksverordneten ist vor der Kommunalwahl 2014 um jeweils zwei in jedem Bezirk reduziert worden. Können Sie das nachvollziehen?
Koch: Sie dürfen nicht vergessen: Bei der Zusammenführung von Herne und Wanne-Eickel hatten wir noch rund 200 000 Einwohner, jetzt sind wir noch bei 160 000. Dieser Entwicklung muss man Rechnung tragen.
Grunert: Die Arbeitsfähigkeit der Bezirksvertretungen hat sich dadurch nicht verschlechtert. Wir hätten mit der Koalition sowieso eine große Mehrheit, aber in den Bezirken orientieren sich die meisten Entscheidungen nicht an Parteiinteressen.
Koch: Sie sehen ja bei uns in Wanne, dass die meisten Beschlüsse einstimmig verabschiedet werden.
Wir haben zuletzt im Bezirk Eickel beobachtet, dass in den Sitzungen von Seiten der Bezirksverordneten wenig bis gar nichts kommt. Es ist häufig eine One-Man-Show des Bezirksbürgermeisters, abgesehen vielleicht vom CDU-Sprecher Andreas Barzik. Ist das nicht Anti-Werbung gegenüber der Bürgerschaft?
Kortmann: Das liegt aber nicht zuletzt daran, dass in den großen Fraktionen von SPD und CDU vorher alles abgestimmt wird und deshalb in der Sitzung nicht mehr viel kommt. Auch ich finde das manchmal etwas unglücklich; etwas mehr Leben wäre nicht verkehrt.
Sind Sie zufrieden mit dem Zuständigkeitsbereich der Bezirksvertretungen oder würden Sie sich mehr Kompetenzen wünschen?
Koch: Ich hätte einen Wunsch: In einigen anderen Städten ist es üblich, dass die Bezirksvertretungen über eine Summe X verfügen können. Wir haben kein Budget zur freien Verfügung. Das fehlt mir etwas. Aufgrund der Haushaltslage können wir aber froh sein, dass wir vieles überhaupt noch geregelt bekommen.
Grunert: Zum Glück können wir aber viele Dinge durchsetzen, obwohl wir formal gar nicht zuständig sind. Das ist in Sodingen allein durch das Aufgreifen von Themen oder auch durch Druck schon einige Male gelungen. Man kann jenseits der Zuständigkeit einiges bewirken – zum Beispiel zuletzt beim Schutz der Siedlung Teutoburgia.
Brüggemann: In Herne-Mitte ist uns das im Behrenspark gelungen. Im Bezirk haben wir die Probleme mit der Trinkerszene diskutiert und vorgeschlagen, die Verordnung für diesen Bereich zu ändern, weil es dort mal Gräber gab. Der Rat hat anschließend einen entsprechenden Beschluss gefasst. Seitdem ist es im Behrenspark wesentlich ruhiger worden.
Die Resonanz aus der Bürgerschaft ist in den Bezirksvertretungen sehr unterschiedlich. In Sodingen kommen viele Bürger, in den anderen Bezirken überwiegend die üblichen Verdächtigen. Woran liegt das?
Brüggemann: In Sodingen kamen schon immer viele Bürger zu den Sitzungen.
Grunert: Das stimmt, das hat in Sodingen Tradition. Wir ermuntern die Bürger aber auch, zu kommen.
Koch: In Wanne gibt es vier bis fünf Bürger, die fast immer zu den Sitzungen kommen. Manchmal haben wir auch zehn oder zwölf Besucher. Es ist aber auch so: Ich spreche mit Bürgern vor den Sitzungen und versuche, Probleme direkt mit der Verwaltung zu lösen. Auch so lässt sich einiges regeln.
Große Unterschiede gibt es auch in der Länge der Tagesordnungen. Sodingen hat in der Regel deutlich mehr Punkte als die anderen Bezirke. Würden Sie sich manchmal wünschen, Herr Grunert, dass die Bezirksverordneten kleinere Probleme auch mal auf dem kleinen Dienstweg durch einem Anruf bei der Verwaltung klären?
Grunert: Das geschieht ja bereits, sonst wäre die Tagesordnung in Sodingen noch länger. Die Bezirksvertretung ist häufig nur das letzte Mittel.
Die vier Bezirksbürgermeister im Kurzporträt
Im Jahr 1994 ist Ulrich Koch im Rathaus Wanne an die Spitze der Bezirksvertretung gewählt worden und ist damit der zurzeit dienstälteste Bezirksbürgermeister. Der 69-Jährige arbeitete vor seiner Pensionierung als Beamter in der Stadtverwaltung Essen.
Der Bezirk Herne-Mitte ohne Dieter Brüggemann (72)? Kaum vorstellbar! 1989 zog der gelernte Bergmann und spätere Opel-Maschinenführer als Bezirksverordneter in das Gremium ein, seit 1999 ist er Bezirksvorsteher beziehungsweise Bezirksbürgermeister.
Rat und Bezirk - Martin Kortmann (55) kennt sie beide. Die Stationen des Bundesbeamten: von 1989 bis 1999 Bezirksverordneter in Wanne, 1999 bis 2004 Bezirksvorsteher in Wanne, 2004 bis 2009 Rat der Stadt, 2009 bis 2014 sachkundiger Bürger im Sportausschuss und nun seit 2014 Bezirksbürgermeister in Eickel.
Mathias Grunert ist der Frischling unter den Bezirksbürgermeistern: 2009 wurde er Bezirksverordneter in Sodingen, 2014 trat er als Bezirksbürgermeister die Nachfolge von Henny Marquardt an. Der 44-Jährige ist Studienberater im „Career Service“ der Ruhr-Uni versität Bochum.
Probleme, Herausforderungen, Zukunftspläne
Wo sehen Sie die größte Herausforderung in Ihrem Bezirk? Und über welchen Erfolg haben Sie sich besonders gefreut, Herr Kortmann?
Kortmann: Die größte Herausforderung steht uns in Eickel mit dem integrierten Handlungskonzept Wanne-Süd bevor. Den Kreisverkehr Hordeler Straße klammere ich jetzt mal aus. Dieses Thema wird mittlerweile auf der Ebene der Oberbürgermeister besprochen. Ich bin zuversichtlich, das sich hier etwas tun wird. Sehr gefreut habe ich mich zuletzt darüber, dass das Technische Rathaus der Stadt in der ehemaligen Heitkamp-Zentrale eingerichtet wird. Das wird uns nach vorne bringen. Größere Probleme sehe ich in Eickel nicht.
Wie sieht es im Bezirk Wanne aus?
Koch: Für Wanne ist der Leerstand die größte Herausforderung. Zurzeit wird auf Wunsch der Kaufmannschaft diskutiert, ob der Bereich der Hauptstraße zwischen Buschmannshof und Berliner Straße wieder für den Verkehr geöffnet werden soll. Auch die Trinkerszene ist natürlich ein Problem. Wir hoffen, dass wir das durch die vom Rat beschlossene Änderung der Ordnungsbehördlichen Verordnung besser in den Griff bekommen. Gut gelaufen ist der Stadtumbau in Bickern/Unser Fritz und in Wanne. Hier ist viel Geld investiert worden. Sehr am Herzen liegt mir der Erhalt des Förderturms Pluto – nicht als Denkmal, sondern vor allem als Landmarke.
Wo liegen in Herne-Mitte die größten Herausforderungen?
Brüggemann: Der Stadtumbau Herne-Mitte ist die größte Herausforderung. Ich bin hier regelmäßig bei allen Projekten am Ball. Auch in Baukau geschieht einiges. Handlungsbedarf sehe ich grundsätzlich bei den Straßensanierungen.
Und wo drückt in Sodingen der Schuh?
Grunert: Der Erhalt des Förderturms Teutoburgia ist eine Herzensangelegenheit. Hier besteht kein akuter Zeitdruck, aber es ist eine große Herausforderung für die nächsten Jahre. Wir müssen auch schauen, was mit dem Marien Hospital 2 in Börnig passiert. Und auf die Entwicklung in Elpeshof werden wir ebenfalls ein Auge haben. Hier ist schon Großes bewegt worden, aber es steht noch einiges an. Positiv fand ich zuletzt die Offenheit der Polizei, die die Sorgen und Ängste der Bürger im Bezirk Sodingen aufgegriffen hat.
Kommen wir zur persönlichen Zukunft der Bezirksbürgermeister. Herr Koch und Herr Brüggemann: Ist das Ihre letzte Amtszeit?
Koch: Mir macht der Umgang mit den Bürgern viel Spaß, aber ich werde definitiv in vier Jahren nicht mehr kandidieren.
Brüggemann: Das gilt auch für mich.
Kortmann: Ich mache jetzt 27 Jahre Kommunalpolitik und weiß gar nicht, ob ich ohne kann. Ich kann mir gut vorstellen, 2020 erneut anzutreten.
Sie haben bereits vor der Wahl 2014 in Constantin mit einer Kandidatur für den Rat geliebäugelt, Herr Grunert. Ist es denkbar, dass Sie 2020 Stadtverordneter werden wollen?
Grunert: Ich bin auch deshalb gewählt worden, weil die SPD sich vorstellen konnte, dass ich für eine längere Zeit Bezirksbürgermeister bin. Wenn es so weit ist, werde ich das mit meiner Fraktion in Sodingen besprechen. Bis zur Wahl ist aber noch viel Zeit. Auch im Beruf können sich ja immer Änderungen ergeben.
Vielleicht kann Herr Kortmann Sie beraten. Er ist ja schon mal als Bezirksvorsteher in den Rat gewechselt.
Kortmann: Für mich gibt es noch eine andere Option, aber nicht in Herne. Wenn meine Frau und ich nicht mehr voll berufstätig sind, wird es wohl nach Bayern gehen – in die Heimat meiner Frau. Vielleicht werden wir dann ein bayrisches Dorf übernehmen. Schaun wir mal.