Herne. . Herner Unternehmen sind grundsätzlich bereit, Flüchtlinge einzustellen. Allerdings gibt es neben der Sprachbarriere viele bürokratische Hürden.

Große Konzerne in Nordrhein-Westfalen haben vor wenigen Tagen angekündigt, die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt voranzutreiben. Eine Umfrage der WAZ-Redaktion bei Herner Unternehmen zeigt: Auch die lokalen Betriebe zeigen sich grundsätzlich aufgeschlossen. Allerdings offenbaren sich bei näherer Betrachtung verschiedene Hindernisse - abseits der Sprachbarriere. So dürfte die Integration in den Arbeitsmarkt Jahre in Anspruch nehmen.

„Ohne Sprache geht gar nichts“, sagt Wolfgang Köster vom Betonpumpenbauer Schwing. Potenzielle Bewerber müssten Deutsch und Englisch lernen. Darüber hinaus müssten die Qualifikationen stimmen. Da bei Schwing Mitarbeiter aus mehr als einem Dutzend Nationen tätig seien, könne man sich die Einstellung von Flüchtlingen vorstellen. „Wir erwarten aber, dass sich jemand in die Gesellschaft eingliedert, wir dulden Fremdenfeindlichkeit in keine Richtung.“ Auch mit Blick auf die Absatzmärkte von Schwing könnten Flüchtlinge mögliche Kandidaten seien. Der Grund: Sie brächten das notwendige kulturelle Verständnis für die Länder mit.

Ähnlich sieht es Bernd Trompeter, Geschäftsführer des Betonmatrizenherstellers Reckli, „wir sind ja schon ein Multikulti-Unternehmen durch unseren weltweiten Vertrieb“. Allerdings benötige man einen erfahrenen Mitarbeiter, der bei der Eingliederung eines Flüchtlings ins Unternehmen zur Seite steht.

Mögliche Hilfe in neuen Märkten

Auch bei Adams Armaturen kann man sich vorstellen, Flüchtlinge zu beschäftigen, Grundvoraussetzungen seien die Beherrschung der deutschen und englischen Sprache, technisches Wissen und möglichst ein abgeschlossenes Studium. Adams sei mit einer Exportquote von über 85 Prozent ein vorrangig internationales Unternehmen. Probleme seien sicherlich auch der ungeklärte Verbleib der Menschen in Deutschland sowie die richtige Interpretation der zum Teil fremden Ausbildungsformen und die Kapazität, eine ideale Betreuung für diese Menschen zu stellen.

Angesichts der kürzlich beschlossenen Sanktionslockerungen im Nahen Osten könnte dies eine Möglichkeit sein, sich in der Region zu positionieren. Geschäftsführer Martin T. Adams: „Wir können uns vorstellen, jemanden einzustellen, der diesen Prozess fachlich, sprachlich und kulturell unterstützen könnte. Wir sehen großes Potenzial in den zugewanderten Menschen.“

Aufgeschlossen zeigen sich auch Heiko Kurzawa (Sicherheitsunternehmen H2K) und Michael Thüring (Grafs Reisen). Beide Unternehmen haben Personalbedarf. Doch sie weisen auf ihre speziellen Probleme hin. Mitarbeiter in Sicherheitsunternehmen müssten eine mündliche und schriftliche Sachkundeprüfung bei der IHK ablegen, so Kurzawa. Darüber hinaus bräuchten sie ein Führungszeugnis - ausgesprochen schwierig bei Flüchtlingen. Michael Thüring weist darauf hin, dass das Fahrpersonal die deutsche Sprache perfekt beherrschen müsse, außerdem sei ein Busführerschein nötig für eine Einstellung. Er hält eine Integration für kompliziert.

Am intensivsten hat sich wohl Henrich Kleyboldt, Geschäftsführer des Industriedienstleisters Ifürel, mit dem Thema beschäftigt. Er hat den Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit kontaktiert. Das Ergebnis des Gesprächs beschreibt er so: „Die von Ifürel händeringend gesuchten Ingenieure und ausgebildeten Fachkräfte gibt es unter den Flüchtlingen de facto nicht. Ein entsprechender Berufsabschluss in den Herkunftsländern wird hierzulande nach den geltenden Industrienormen wie VDE oder Betriebssicherheitsverordnung kaum anerkannt werden.“ Unterm Strich bleibe realistischerweise das von Ifürel ins Auge gefasste Thema der Ausbildung von Flüchtlingen, allerdings gebe es auch dort bürokratische und sprachliche Hürden. Trotzdem zeigt sich Kleyboldt entschlossen, an dem Thema zu arbeiten: „Integration kann letztlich nur über Arbeit funktionieren. Es wäre schön, wenn wir dazu beitragen könnten.“

IHK Mittleres Ruhrgebiet sieht viel Aufklärungsbedarf

Die IHK Mittleres Ruhrgebiet bestätigt das Stimmungsbild der Herner Unternehmen. „Die Bereitschaft und das Interesse von Unternehmen, qualifizierte Flüchtlinge einzustellen, ihnen Möglichkeiten zur Qualifizierung einzuräumen, zum Beispiel mit Praktika, oder Jugendliche in eine Ausbildung zu übernehmen, sei im IHK-Bezirk grundsätzlich feststellbar. Allerdings: Die Gesetzeslage mache es schlicht und einfach unmöglich, „einfach so“ einen Flüchtling einzustellen, teilt die IHK auf Anfrage mit.

Welchen Spielraum die Gesetze überhaupt zulassen, Flüchtlinge einzustellen oder ihnen einen Ausbildungsplatz anzubieten, sei vielen Unternehmen völlig unklar. Es gebe hier einen enormen Informationsbedarf. Den versucht die IHK – gemeinsam mit Partnern wie der Agentur für Arbeit oder der Wirtschaftsförderung – abzubauen. Beispielsweise findet am 1. Februar in der IHK eine Veranstaltung für Unternehmer mit dem Titel „Flüchtlinge einstellen – wir zeigen wie“ statt, in der über die rechtliche Ausgangslage aufgeklärt wird.

Die Unternehmer im mittleren Ruhrgebiet wüssten auf jeden Fall, dass sie ihren wachsenden Fachkräftebedarf auf keinen Fall „kurzfristig“ durch Flüchtlinge befriedigen können. Der Integrationsprozess werde Jahre dauern und nicht „von heute auf morgen“ gelingen.

Die Kreishandwerkerschaft rufe die Betriebe dazu auf, Praktika für Flüchtlinge anzubieten, teilt Geschäftsführer Matthias Runge auf Anfrage der WAZ-Redaktion mit. Bis zum Sommer könnten die Sprachkenntnisse dafür ausreichend sein. Die Handwerkskammer Dortmund, zu der Herne zählt, hat bereits ein Projekt aufgelegt. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Flüchtlinge hoch motiviert sind“, so Runge.

Agentur für Arbeit bietet Integration Point und heißen Draht

Ab Januar 2016 gibt es in den Arbeitsagenturen einen sogenannten „Integration Point“: eine Anlaufstelle für Flüchtlinge und Arbeitgeber, die Flüchtlinge einstellen wollen. Hier arbeiten mehrere Institutionen zusammen. Agentur für Arbeit, Jobcenter und die Ausländerbehörde. Durch die Verzahnung und Bündelung aller Angebote werden die Wege sowohl für Flüchtlinge als auch für Arbeitgeber, die Flüchtlinge einstellen wollen, verkürzt, transparenter und die Verfahren beschleunigt.

Darüber hinaus haben die Arbeitgeber die Möglichkeit bei Fragen eine speziell zum Thema eingerichtete Hotline (0 23 23-59 59 59) oder den Mailkontakt Herne.Potenziale-nutzen@arbeitsagentur.de zu nutzen. Alle Fragen rund um die Einstellung oder Ausbildung von Flüchtlingen werden hier umgehend beantwortet.