Herne. . Hanneke und Peter Schmitz ein Buch geschrieben: „Die Günzburger“ ist auf Deutsch/Englisch im Herner Frischtexte Verlag erschienen.

Eigentlich sollte es eine rein private Recherche werden. „Alles hat angefangen mit dem Foto, das später das Titelbild geworden ist“, erklärt Hanneke Schmitz. Es zeigt ihre beiden Urgroßmütter Babette und Nanette, umgeben von der Familie. 1920 war das, in Emmendingen bei Freiburg, und zu sehen ist, was Hanneke Schmitz als „selbstbewusste, glückliche, bürgerliche Großfamilie“ bezeichnet. Die jüdische Familie Günzburger - Fabrikanten, Kaufleute und ein Ingenieur. Der Nationalsozialismus riss sie auseinander. Während die einen in aller Welt Zuflucht suchten, fanden andere den Tod, so auch Hanneke Schmitz’ Großeltern Julius und Sophie (siehe unten). Ihre Geschichte und die der weit verzweigten Familie zeichnet ein Buch nach, das kürzlich im Herner Frischtexte Verlag erschienen ist: „Die Günzburger“, verfasst von Hanneke Schmitz (73) und ihrem Mann Peter (70), zwei Herner Lehrern im Ruhestand.

Kontakt zu Verwandten in aller Welt

„2011 hat mir eine 96-jährige Cousine meines Vaters in Los Angeles Stammbäume gegeben und Literatur empfohlen“, erzählt Hanneke Schmitz. Ihr Interesse war geweckt. Zusammen mit ihrem Mann forschte sie in Archiven von „Münster bis Karlsruhe“, suchte den Kontakt zu den Verwandten, die zum Teil in Übersee leben, las sich durch Briefe und Dokumente. „Viele sprechen kein Deutsch mehr“, hat sie dabei festgestellt. Deshalb ist das Buch nun auch zweisprachig erschienen. Tochter Ellen lebt in Florida, sie hat die Texte ins Englische übersetzt.

Diese waren zunächst gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht, „sondern ursprünglich nur für den Verwandtenkreis“, sagt Hanneke Schmitz. Ermuntert durch den Herner Historiker Ralf Piorr und den Verleger Gerd Schiweck, ließen sich die Schmitz’ am Ende von einem Buchprojekt überzeugen. Peter Schmitz - er stammt aus einer katholischen Familie im Rheinland - schrieb, Hanneke „kommentierte“, wie sie es selbst nennt. Sie selbst ist 1942 in Holland geboren. Ihre Eltern sind die Journalisten Fritz und Gerda Günzburger, die nach ihrem Exil in Amsterdam, wo sie im Untergrund lebten, nach Herne zurückkehrten.

„Anfangs wollte ich über die Recherche Kontakte zur Familie finden oder neu aufleben lassen“, sagt Hanneke Schmitz. „Das hat sich verlagert. Erst später habe ich entdeckt, dass die Familiengeschichte für die Geschichte der jüdischen Bevölkerung des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts steht.“ Ihr Anliegen und das ihres Mannes sei es, „aus Nummern wieder Menschen zu machen“. Ralf Piorr findet die Arbeit des Ehepaares in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: „als Akt des Widerstandes gegen das Vergessen und letztlich in der Überlieferung dieser faszinierenden Familiengeschichte, als Bekenntnis zum Leben“, schreibt er in seinem Vorwort. Das nächste Buch ist bereits in Arbeit. Es geht der Geschichte von Gerda Günzburger, geborene Elias, und ihrer Familie nach.

Vom Flottmann-Direktor zum KZ-Häftling

Hanneke Schmitz’ Großvater Julius Günzburger wurde 1875 als ältester Sohn von Israel Samuel und Babette Günzburger in Emmendingen geboren. Sieben weitere Kinder sollten folgen. Jedem von ihnen ist in der Familiengeschichte ein Kapitel gewidmet.

Julius, ein Maschinenbau-Ingenieur, hatte seine Kusine Sophie geheiratet. Mit ihr hatte er drei Kinder. Der jüngste Sohn Fritz, Hannekes Vater, wurde 1911 geboren. 1926 wechselte Julius von Zwickau zu den Flottmann-Werken in Herne, zunächst als Berater, dann als technischer Leiter und später als Vorstandsmitglied, bevor er das Werk 1932 verlassen musste, aus wirtschaftlichen und nicht primär aus rassistischen Gründen, wie es in der Familiengeschichte heißt. Das „Dorf“ Herne, sei für Julius als Wohnort nie in Frage gekommen, fanden die Autoren heraus. In Bochum-Wiemelhausen führte die Familie ein gutbürgerliches Leben, bis sie ihr Haus nach Julius Entlassung 1935 mit Verlust verkaufen musste. Warum die angestrebte Auswanderung nach Palästina trotz der Genehmigung der „Devisenstelle“ nicht vollzogen wurde, konnten die Autoren nicht klären.

1938 schlug die Diskriminierung der Juden in offene Gewalt um. Nach der Reichspogromnacht kam Julius ins KZ Sachsenhausen, wurde aber schnell wieder entlassen, weil sein Sohn die Einreise nach Holland erwirkt hatte. Bar jeder finanziellen Mittel kam das Paar 1939 in Amsterdam an, wo auch Sohn Fritz und seine Frau Gerda inzwischen lebten. Ab 1941 mussten auch die Juden in Holland die Restriktionen durch die Deutschen erleiden. 1943 wurden Julius und Sophie in das Durchgangslager Westerbork deportiert. Dort hofften sie auf einen Austausch nach Palästina. Fritz und Gerda tauchten unter. Hanneke, geboren 1942 lebte zeitweise in einem Kinderheim.

Julius und Spohie Günzburger starben im Januar und Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen, wo sie seit 1944 mit zuletzt 75 000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen lebten. An der Goethestraße 41 in Bochum, der letzten Adresse der Günzburgers in Deutschland, wurden 2014 so genannte „Stolpersteine“ verlegt, die an verfolgte jüdische Mitbürger erinnern.

„Die Günzburger. Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte“ ist als Hardcover (deutsch/englisch) im Herner Frischtexte Verlag erschienen.

Das Buch umfasst 312 Seite inklusive historischer Fotos und Dokumente und mehrere Ahnentafeln. Es kostet 29,90 Euro.