Herne. . Seit Jahren liegt Josef Wiemann im Streit mit der Kassenärztlichen Vereinigung. In diesem Jahr eskalierte die Situation -und wälzte Wiemanns Leben um.

Für Nicht-Eingeweihte sieht alles aus wie immer: Josef Wiemann empfängt und untersucht in der Praxis in der Haranni-Clinic Patienten, auf seinem Schreibtisch – und auf allen anderen möglichen Abstellmöglichkeiten stapeln sich Unterlagen. Doch dass er an seinem Arbeitsplatz sitzt, das ist wahrscheinlich das einzige, was für Wiemann selbst so ist wie immer. Denn das Jahr, das sich dem Ende neigt, hat sein Leben extrem umgewälzt. Wenn man sagt, dass es zerbröselt ist, widerspricht er nicht. „Ich bin froh, wenn dieses Jahr vorbei ist“, sagt er in aller Offenheit.

Über die Ursache dieser Umwälzung hatte die WAZ in der Vergangenheit mehrfach berichtet. In diesem Jahr ist ein Streit zwischen dem Mediziner und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) eskaliert, der bereits seit mehreren Jahren schwelte - und noch immer nicht beendet ist.

Auf der falschen Fahrbahnseite

Grob skizzenhaft kann diese Auseinandersetzung so beschrieben werden: Obwohl die KVWL Wiemanns Honorare gedeckelt hatte, habe er mehr gearbeitet als er gedurft hätte – wegen des Andrangs der Patienten. Die entsprechenden Quartalsabrechnungen habe die KVWL jedoch nicht vollständig bezahlt. Wiemann legte bei jeder Abrechnung Widerspruch ein – ohne Reaktion. Jahrelang, wie Wiemann sagt. Als er mit juristischen Schritten gedroht habe, habe die KVWL mit Rückforderungen in Höhe von mehr als einer halben Millionen Euro geantwortet. Für Wiemann hieß das: Er hätte einen Betrag zurückzahlen müssen, den er zuvor gar nicht erhalten hatte. Anders ausgedrückt: Die Überstunden, die er absolviert habe, hätte er auch selbst zahlen sollen.

Zu Beginn dieses Jahres habe die KVWL ihre Abschlagszahlungen ohne Ankündigungen eingestellt, so Wiemann. Er selbst stellte gegen zwei KVWL-Mitarbeiterinnen Strafanzeige. Längst ist der größte Teil seiner einstmals 23 Mitarbeiterinnen entlassen, die Praxis ist verkauft, Wiemann selbst hat den Status eines Angestellten.

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So weit die nüchternen Fakten...

...dahinter verbirgt sich ein menschliches Drama. Auf die Frage, was er angesichts dieser Entwicklung empfinde, antwortet Wiemann: „Ich war schon mit dem Motorrad auf der falschen Straßenseite!“ Früher habe er nie einen Zugang zu Depressionen gehabt. Psychiater, das seien für ihn Leute gewesen, die Voodoo-Medizin betreiben. Doch dann habe er sich dabei erwischt, dass er völlig emotionslos nachgeschaut habe, wie seine Kinder versichert sind... Er sei – diesmal im übertragenen Sinn – voll aus der Kurve getragen worden. Im Frühjahr habe er sich bei einem Neurologen in Behandlung begeben. „Jetzt bin ich hoffentlich wieder der alte“, sagt er.

Gefühl der Hilflosigkeit

Warum hat er eigentlich nicht nachgegeben? „Meine Frau, Kollegen und Bekannte haben mir tausend Mal gesagt, dass ich klein beigeben soll“, so Wiemann. „Aber ich habe die Arbeit gemacht. Ich will mir morgens beim Rasieren in die Augen schauen können.“ Vielleicht sei er auch etwas starrsinnig, schiebt er nach. Die Folge: Auch bei ihm zu Hause sei die Lage eskaliert. „Ich bin ausgezogen.“

Außerdem waren zeitweise all sein Barmittel erschöpft, auch ein Haus musste er verkaufen. Nur seine Rücklagen hätten ihn davor bewahrt, dass ihn keine Schulden drücken. „Die Frage ist, ob die Mitarbeiterinnen Rücklagen haben, denen ich kündigen musste.“

Was ihn wütend mache, sei das Gefühl der Hilflosigkeit, er fühle sich in den Ruin getrieben. „Darf man bestraft werden, wenn man zwölf Stunden am Tag arbeitet?“

Unterstützung von den Patienten

Arbeiten, das tut Wiemann wieder gerne. „Aus der Phase, in der ich gelitten habe, bin ich raus.“ Auch weil er viel Unterstützung von den Patienten erfahre. So durfte er schon ein Hufeisen und einen Plüschelefanten entgegen nehmen. Außerdem: Er werde im kommenden Jahr 60, er habe seine Zukunft zu planen. Dennoch wird ihn die Vergangenheit einholen. Die juristische Auseinandersetzung geht ja weiter, doch sie soll neben dem täglichen Geschäft her laufen. Aber Wiemann ist sich nicht sicher, ob er schon so weit ist, einen Brief in Sachen „KVWL gegen Wiemann“ gelassen zur Seite zu legen. Eins stehe jedoch fest: „So ein Jahr brauche ich nicht nochmal.“