Arbeitszeiten oder hohe Investitionen: Immer weniger junge Mediziner entscheiden sich für eine Hausarztstelle. Doch Roman Voß wählt genau diesen Weg.
Deutschland wird in den kommenden Jahren an einer besonderen Mangelerscheinung leiden – einem Mangel an Hausärzten. Experten gehen davon aus, dass in etwa 15 Jahren rund 20 000 Hausarztstellen unbesetzt sein werden. Herne ist nicht von dieser Entwicklung betroffen, nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ist die Stadt zurzeit überversorgt. Doch das könnte sich auf Grund der Altersstruktur der Hausärzte bald ändern (siehe Zweittext). Als Gründe für die Entwicklung nennt KVWL-Sprecher Jens Flintrop, dass junge Ärzte zum Beispiel die Arbeitszeiten scheuen, hohe Investitionen bei der Übernahme einer Praxis und lieber als Angestellte Ärzte tätig sind.
Da lohnt es, nachzufragen bei einem, der genau diesen Weg gegangen ist: Roman Voß (33) hat vor wenigen Wochen den Einstieg in die Praxis am Solbad seines Vaters und Dr. Marjana Schmitter in Wanne-Süd gewagt. Voß hätte eine Alternative gehabt. Zuvor war er im Essener Elisabeth-Krankenhaus tätig und hätte dort eine Laufbahn in der Krankenhaus-Struktur verfolgen können - er entschied sich für die Praxis. „Ich habe viel von der Arbeit meines Vaters mitbekommen, der die Aufgabe des Hausarztes vorgelebt hat. Im praktischen Jahr habe ich Erfahrungen gesammelt, und es hat mir immer Spaß gemacht.
Außerdem: „In der Klinik hätte ich vielleicht Karriere machen können, doch ich hätte regelmäßig Nacht- und Wochenenddienste gehabt.“ So sei er sein eigener Chef.
Roman Voß springt nicht ins völlig kalte Wasser. Erleichtert wird die Übernahme durch mehrere Faktoren. So „schleicht“ sich sein Vater quasi aus seiner Aufgabe, die Patienten können sich an den „neuen Doktor“ gewöhnen, „vor allem, da Patienten immer auch eine Lebensgeschichte haben, die genauso wie beim Hausarzt selbst, über Generationen gehen kann“, so Joachim Voß. Zumal Joachim Voß als angestellter Arzt weiter in der Praxis mitarbeiten kann. Gleichzeitig wurde auch in neue Räumlichkeiten investiert, um die Patientenversorgung auch auf diesem Gebiet weiter zu verbessern.
Ein weiterer wichtiger Faktor: Roman Voß ist kein Einzelkämpfer. Bereits sein Vater hatte mit seiner Ehefrau Dr. Christa Nickel-Voß als Gynäkologin eine Praxisgemeinschaft gegründet, 2007 kam Dr. Marjana Schmitter als Partnerin mit eigenem Kassensitz hinzu. So sei gewährleistet, dass für die Patienten immer ein Ansprechpartner da sei. Nach dem Ausscheiden von Christa Nickel-Voß ist die Praxis am Solbad einen Weg gegangen, der bis vor zwei Jahren nicht möglich war. Dr. Susanne Kirberg übernahm den Kassensitz und engagierte für die frauenärztliche Betreuung Dr. Petra Diekmann als Gynäkologin. Dieses Modell eignet sich - auch nach Ansicht der KVWL - gerade für Frauen, da eine feste Anstellung mit einem Familienleben in Einklang gebracht werden kann.
Für die Praxis am Solbad ergeben sich mit dieser Konstellation Synergie-Effekte, die auch dabei helfen, die strengen Kosten-Strukturen einzuhalten. Dies komme am Ende wieder den Patienten zu Gute. Voß: „So bieten wir eine moderne Basisversorgung, die Spaß macht.“
Herne gilt zurzeit noch als überversorgt
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ist die hausärztliche Versorgung in Herne mit einem Versorgungsgrad von 112,6 Prozent statistisch betrachtet sehr stabil. Der Versorgungsgrad wird ermittelt, indem die Einwohnerzahl eines Planungsbereichs in Relation zur Zahl der Ärzte gesetzt wird.
Ab einem statistischen Versorgungsgrad von 110 Prozent gilt ein hausärztlicher Versorgungsbereich nach Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses als „überversorgt“. Dann ist er für Neuzulassungen gesperrt. Ab einem statistischen Versorgungsgrad von unter 75 Prozent gilt ein Versorgungsbereich als „unterversorgt“. Westfalenweit hat die KVWL zurzeit sieben Planungsbereiche ausgewiesen, die unterversorgt sind.
Laut KVWL ist jeder dritte Hausarzt in Herne bereits älter als 60 Jahre. Viele dieser Ärzte dürften in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen und einen Nachfolger für ihre Praxis suchen. Angesichts der schwierigen Nachwuchssituation könnte sich dies jedoch problematisch gestalten.
Vor dem Hintergrund des Nachwuchsmangels vor allem im hausärztlichen Bereich hat die KVWL in diesem Herbst ihre Nachwuchskampagne erweitert. Damit sollen auch bereits Medizinstudierende angesprochen werden. „Nach der Theorie kommt die Praxis“, lautet die zentrale Botschaft, mit der die KVWL den ärztlichen Nachwuchs für eine Niederlassung in Westfalen-Lippe interessieren möchte.