Herne. . Dorothea Schulte, Fraktionschefin der Grünen in Herne, gibt am Sonntag ihr Ratsmandat ab. Im WAZ-Interview zieht sie Bilanz.

An diesem Sonntag gibt Dorothea Schulte, Fraktionsvorsitzende der Grünen, ihr Mandat ab und scheidet aus dem Stadtrat aus. Zum Abschied sprach die WAZ mit der 59-jährigen Ärztin, die seit 1999 Stadtverordnete war.

„Opposition ist Mist“ lautet ein bekannter Satz von Franz Müntefering. Ist die Opposition, in der sich die Grünen nach dem Aus von Rot-Grün im Rat befindet, der Grund für Ihren Abschied?

Nein, überhaupt nicht. Und Opposition ist auch nicht Mist. Eher im Gegenteil: Wir haben es hier in Herne nach der letzten Kommunalwahl geschafft, eine stabile Opposition aus verschiedenen Fraktionen und Gruppen zu bilden. Und in einer Kooperation liegt ja immer die Gefahr, dass man einschläft. Es macht Spaß, mal wieder die eigenen Themen vertreten zu können.

Der Spaß scheint Ihnen aber abhanden gekommen zu sein. Oder warum hören sie auf?

Politik und Gremienarbeit sind nur dann sinnvoll, wenn man mit ganzer Kraft dabei ist, und das bin ich nicht mehr. Politik ist für mich anstrengend geworden. Und ja: Der Spaß ist mir auch abhanden gekommen.

Sie kamen 1999 in den Rat. Wie haben Sie ihn als Neuling erlebt?

Ich hatte große Ängste! Ich war direkt Fraktionsvorsitzende, hatte aber zuvor noch nie eine Ratssitzung besucht. Und ich kannte niemanden – weder in den Fraktionen noch in der Verwaltung. Der Rat war also völliges Neuland für mich. Ich dachte, da sitzt die geistige Elite von Herne zusammen. Es hat aber nicht lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich da intellektuell mithalten kann (lacht).

Heute ist der Rat ja weitaus bunter als 1999. Gefällt Ihnen das?

Da habe ich überhaupt keine Probleme mit. Auch wenn mich die mangelnde Kenntnis von Formalia und Regeln bei den Kleinen manchmal wundert: Sie bringen neue Ideen ein, sind erfrischend und benehmen sich nicht immer regelkonform. So suchen sie auch im Rat die Diskussion, die eigentlich in den Fraktionen und manchmal noch in den Fachausschüssen stattfinden sollte.

Um dann am Ende überstimmt zu werden. . .

Ja, da sind die kleinen Gruppierungen oft enttäuscht, wenn die eigenen guten Argumente kein Gehör finden. Aber so ist das nun mal: Es ist schon vorher alles ausgehandelt, und die Ratssitzung ist dann nur noch ein Schaulaufen.

Was bleibt hängen nach Ihren Jahren im Rat?

Dass SPD und Verwaltung eins sind. Dass die Verwaltung nicht immer ihre Aufgabe erfüllt hat, sondern auf SPD-Weisung gehandelt hat. Auch die SPD hat auf Anweisung der Verwaltung gehandelt. Außerdem ist in der Verwaltung ein SPD-Parteibuch nicht schädlich. Diese ganze Verzahnung SPD/Verwaltung ist in Herne ausgeprägter als in anderen Revierstädten – und sehr ärgerlich. Ich habe die Hoffnung, dass sich das aufweicht.

Durch den neuen OB Frank Dudda?

Das weiß ich nicht. Eher durch einen Generationswechsel der Mitarbeiter. Der ist nötig, denn Herne ist darauf angewiesen, die besten Mitarbeiter in die Fachbereiche zu bekommen. Da sind uns andere Städte voraus.

Was haben die Grünen in Ihrer Zeit als Fraktionschefin erreicht?

Etwa, dass ein größerer Wert auf Grünflächen gelegt wird. Auch wenn sich das nicht in Beschlüssen widerspiegelt: Da hat sich die Mentalität in Herne geändert. Das erkennt man dann daran, dass Vorschläge von uns abgelehnt wurden, aber anderthalb Jahre später von der SPD erneut auf den Tisch gelegt wurden – und dann angenommen wurden. Und zuletzt ist es uns gelungen, die besagte Opposition zu bilden.

Das Aus von Rot-Grün 2013 – war das eine Niederlage für Sie?

Nein, überhaupt nicht. Es war ja die SPD, die die Koalition gekippt hat – und zwar aus innerfraktionellen Gründen. Es gab bei der SPD die Wahlen zum Fraktionsvorstand, und die Mehrheitsverhältnisse waren sehr eng. Da musste ein Befreiungsschlag her. Das ging am besten mit der Aufkündigung der Kooperation.

Sie tragen also keine Schuld am Ende von Rot-Grün?

Nein. Sicherlich war ich auch keine angenehme Partnerin, und so mancher in der SPD meint, dass es die Ratskooperation mit einer anderen Fraktionsführung bei den Grünen noch gäbe. Aber: Man muss für seine Überzeugungen kämpfen, und das habe ich immer getan. Dennoch man muss auch kompromissbereit sein und loyal, und auch das war ich.

Vielleicht ändert sich der Ton nun mit dem neuen SPD-Fraktionschef Udo Sobieski.

Da fand ich eine Aussage von ihm im WAZ-Interview nach seinem Amtsantritt bezeichnend. Wenn die Opposition eine SPD-Meinung vertritt, dann redet die SPD auch mir ihr, meinte er. Das finde ich unglaublich, da fehlen mir die Worte. Miteinander reden muss man immer können – auch CDU und SPD müssen das.

Ist Rot-Grün mittelfristig wieder möglich? Oder wäre Schwarz-Grün eine Alternative?

Politik ist von Inhalten abhängig. Und von Personen. Deswegen kann es gut sein, dass die neue Grünen-Fraktion andere Überlegungen anstellt als die bisherige. In naher Zukunft aber ist Rot-Grün nicht drin, Rot-Schwarz, so meine Prognose, wird die Legislaturperiode zu Ende bringen. Nach der nächsten Wahl ist dann alles möglich.

Fünf Jahre lang, bis 2009, waren Sie Bürgermeisterin, also ehrenamtliche Stellvertreterin des damaligen OB Horst Schiereck. Was hat Ihnen dieses Amt bedeutet?

Das war eine spannende Zeit. Ich hatte viel Kontakt mit den Menschen in unserer Stadt, die ich in Gesprächen kennen gelernt habe. Was mir aber gefehlt hat, war die politische Arbeit an vorderster Front. Deshalb wollte ich nach fünf Jahren wieder zurück an die Fraktionsspitze.

Ihr designierter Nachfolger ist ihr Fraktionskollege Thomas Reinke, der kürzlich für die Opposition als OB-Kandidat angetreten ist. Was spricht für ihn?

Der Tom ist lange dabei, er hat schon vor mir politische Gremienarbeit gemacht. Als er wusste, dass der Fraktionsvorsitz auf ihn zuläuft, hat er sich zudem viel Sachwissen angeeignet. Überhaupt: Er hat eine gute Art, die Fraktion zu führen. Er ist ein sehr verbindlicher Mensch, er kann verschiedene Flügel ausbalancieren, er kommt gut mit anderen Menschen aus und hat gute Kontakte in die anderen Fraktionen. Er wird das sehr gut machen.

Ist für Sie jetzt ganz Schluss mit der Politik?

Nein. Ich habe schon immer ehrenamtlich gearbeitet und mich sozial engagiert. Dabei bleibt es, und dafür habe ich jetzt sogar mehr Zeit. Von daher bleibe ich in vielen Bereichen tätig, die auch eine politische Rolle spielen. Richtig ist aber: Ich ziehe mich aus der Gremienarbeit zurück. Mit einer Ausnahme: Ich gehe für den Paritätischen in den Sozialausschuss. Das war eine spontane Entscheidung.

Haben Sie einen Tipp an Ihren Nachfolger an der Fraktionsspitze?

Ja. Er darf die Konfrontationen, die es in der Politik immer geben wird, nicht zu nah an sich herankommen lassen. Es ist oft schwer erträglich, was hintenrum über einen Menschen gesagt wird und gesagt werden darf. Ich habe das leidvoll erleben müssen. Da muss man lernen, dass diese Angriffe an einem abprallen. Mir hat da geholfen, dass mein Umfeld, also meine Familie und meine Freunde, nichts mit Politik zu tun und mich geschützt hat.

Was sagen Sie zum Start des neuen Oberbürgermeisters?

Es ist positiv, dass er Dinge anpackt. Aber er hätte sich besser beraten lassen sollen, so gibt es nun ärgerliche, handwerkliche Fehler. Siehe das Bündnis für Arbeit: Die Zusammensetzung der Teilnehmer ist völlig wirr. So sitzt etwa die GBH, die Gemeinnützige Beschäftigungsgesellchaft Herne, mit am Tisch. Die aber vertritt nur einen kleinen Teil der Verbände und Vereine. Oder siehe die neue Struktur zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage in der Verwaltung: In einer Arbeitsgruppe für die Wohlfahrtsverbände sitzt der Arbeiter-Samariter-Bund mit Herrn Okoniewski. Nur: Der ASB ist gar kein Wohlfahrtsverband und hat auch nicht mit Flüchtlingen zu tun. Das alles ist ärgerlich. Viellicht ist der OB zu schnell unterwegs nach seinem Amtsantritt.