Herne. . Die Gruppe „Jobcenter-Watch Herne“ fordert die Behörde dazu auf, vorübergehend keine Sanktionen auszusprechen. Anlass: ein Gerichtsurteil.

Die Jobcenter-Spitze stellt sich den Vorwürfen: Geschäftsführer Karl Weiß will auf Einladung der Gruppe „Jobcenter-Watch Herne“ Ende September/Anfang Oktober an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehmen; der genaue Termine steht noch nicht fest. Diese Vereinigung ist vor drei Monaten von Kritikern – Arbeitslose sowie Vertreter von Linkspartei, Grünen und Piraten – ins Leben gerufen worden. Ein Thema der Veranstaltung könnte die Forderung der Gruppe nach einem sofortigen Sanktionsmoratorium sein.

Anlass ist ein Urteil der 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha, das im Mai Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose für verfassungswidrig erklärt und die Klage eines Betroffenen an das Bundesverfassungsgericht weitergeleitet hat (wir berichteten). „Dadurch ist ein rechtsfreier Raum entstanden, der die Verantwortlichen auch in Herne quasi zum Handeln zwingt“, erklärt Katrin Wißner, Leistungsempfängerin und Mitglied von Jobcenter-Watch.

Denn, so fügt Wilfried Kohs, Mitglied von Jobcenter-Watch und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Schuldnerberatung, hinzu: „Eine Folge des Urteils ist, dass Sanktionierte ein erfolgversprechendes Widerspruchsverfahren mit Verweis auf das Urteil von Gotha einleiten und mindestens eine Aussetzung der Sanktion einfordern können, bis das Bundesverfassungsgericht ein entsprechendes Urteil gefällt hat.“

Jobcenter-Chef Karl Weiß weist auf Anfrage der WAZ zurück, dass hier ein rechtsfreier Raum entstanden sei: „Es gibt ein gültiges Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht muss nun ein Urteil fällen, an dem sich die Politik dann orientiert.“ Bis dahin seien aber alle Jobcenter „auf der sicheren Seite“. Und: Seit dem Gothaer Urteil habe sich die Zahl der Widersprüche gegen Sanktionen nur marginal erhöht. Die Einschätzung von Daniel Kleibömer (Jobcenter-Watch und Linke), dass die Trägerversammlung hier unter Berufung auf das Gothaer Urteil tätig werden könne, sei ebenfalls falsch, so Weiß.

Über 5000 Strafen im Jahr 2014

Das Jobcenter Herne hat 2014 im NRW-Vergleich mit über 5000 Sanktionen sehr viele Strafen gegen Langzeitarbeitslose verhängt. Hintergrund: Kommt ein Hartz-IV-Empfänger seinen Pflichten nicht nach, kann die Behörde die Leistungen kürzen. Dass die Zahl in Herne besonders hoch sei, will Karl Weiß nicht bestätigen. „Das ist relativ. Das hängt davon ab, wie viele Menschen man zu Gesprächen einlädt“, sagt er. In Herne sei dies sehr häufig der Fall, weil man die Menschen wieder in Arbeit bringen wolle. Und auch darauf weist Weiß hin: Der Ermessensspielraum sei, anders als Kritiker behaupteten, sehr klein. „98,5 Prozent aller Sanktionen sind rechtsfest entschieden worden.“