Herne. . Die Horsthauser Siegfried Sell und Heinz-Jürgen Steinbach erzählen von Zeiten, als sich im Viertel noch ein Geschäft an das andere reihte.

Wer mit alten Horsthausern durch das Feldherrenviertel spaziert, betritt eine Parallelwelt. In dieser Welt gibt es mindestens acht Lebensmittelläden und fünf Metzgereien, Schuhgeschäfte und Schuster, Fahrradladen, Post, Drogerie, Bäcker, Café und sogar ein Kino. Bei Kurzwaren Klatt kauften die Frauen Knöpfe, bei den Kessler-Mädchen gab es Blusen und Pullover. Und in der Gaststätte Helsper wurde gefeiert. Das Gasthaus an der Horsthauser Straße heißt heute Cashpoint und ist ein Wettbüro.

Siegfried Sell und Heinz-Jürgen Steinbach haben den Stadtteil in den letzten sechs Jahrzehnten erlebt. Sell ist als Spätaussiedler 1958 aus Stettin zur Scharnhorststraße gezogen, er wohnt über der Fleischerei Holz, die früher Hofmann hieß. Er ist 86 Jahre alt und kennt Steinbach aus der Zionskirchengemeinde. Steinbach, 65 Jahre alt, ist an der Blücherstraße aufgewachsen, lebt aber heute auf der anderen Seite der Autobahn, in Elpeshof.

Steinbachs Frau Bärbel betreibt an der Scharnhorststraße ein Friseurgeschäft. Dort starten wir unseren Rundgang. Immer wieder bleibt einer der beiden stehen. „Hier war die Bäckerei Höltring mit dem Café“, erklärt Heinz-Jürgen Steinbach an der Ecke Blücherstraße. „Die hatten den ersten Fernseher in der Siedlung. Wenn man etwas sehen wollte, ging man dahin.“ Vorbei geht es an grauen Wohnhäusern, die nichts mehr erkennen lassen vom einst blühenden Einkaufsviertel. Auf der Horsthauser Straße biegen wir nach links. „Es gab auch ein ,Mordhaus’“, fällt den beiden hier ein. Der Mörder sei ein junger Mann gewesen, „der hatte ein Techtelmechtel mit einer älteren Dame. Mit dem hab ich später noch zusammengearbeitet“, sagt Steinbach.

Gaststätte Helsper als Vereinslokal

Wir blicken jetzt auf die Gaststätte Helsper, neben dem Birkenhof und Lücking gesellschaftlicher Treffpunkt, bis eine Brandbombe den großen Saal zerstörte. „Viele Vereine hatten da ihr Vereinslokal“, erinnert sich Siegfried Sell. Auch Theatergruppen und Gesangvereine probten bei Helsper. Gleich daneben das zeitweilig von Kakerlaken bewohnte „Problemhaus“ – „die erste Imbissstube Horsthausens“, wie Steinbach noch weiß. „Da stand auch ein Kickerautomat“.

Weiter geht es die Horsthauser Straße entlang, die bei der Trinkhalle „Tinas Nr. 1“ - früher Metzgerei Kunis - einen Bogen macht. Hier fällt den Stadtteilführern das „Bullenkloster“ ein, das 1922 gebaute Ledigenheim für Bergleute, das nach dem Krieg Kindergarten und Mütterberatung beherbergte. Auf der anderen Straßenseite sind ein paar schöne Fassaden erhalten geblieben. In Haus Nr. 172, erfahren wir, verkaufte Friedrich Mersmann („der Horsthauser Millionär“) Haushaltswaren, daneben gab es Schreibhefte, ein Haus weiter war ein Kiosk, „der olle Bergmann“. Immer wieder fallen Siegfried Sell und Heinz-Jürgen Steinbach Namen ein und Anekdoten wie die vom Friseur mit dem Spitznamen „Halt-ma-Ohr-fest“. Heute wird in dieser Häuserzeile Döner verkauft. Zurück geht es über die Gneisenaustraße, am neuen Edeka-Markt vorbei, wo 100 Jahre lang eine Schule stand, eine evangelische Volksschule. „Katholische Ratten, im Pisspott gebraten“, habe man den Schülern nebenan zugerufen, erinnert sich Steinbach, und Siegfried Sell weiß von ähnlichen Kämpfen seines Sohnes.

Auch wenn vom früheren Feldherrenviertel nicht viel übrig ist, hat Sell hier sein Zuhause gefunden: „Ich würde nicht hier wegziehen.“

Tafeln und Buch informieren über Geschichte

Eine Infotafel über das einstige Ledigenheim im Feldherrenviertel.
Eine Infotafel über das einstige Ledigenheim im Feldherrenviertel. © FUNKE Foto Services

Wer in die Vergangenheit des Feldherrenviertels blicken möchte, kann bei einem Stadtteilspaziergang das Angenehme mit dem Lehrreichen verbinden. 14 Tafeln mit historischen Fotos und kurzen Texten erinnern an alte Zeiten. Die Tafeln wurden vor zehn Jahren im Viertel aufgestellt. „Mit den Bildern kommt die Liebe zum Quartier rüber“, sagte damals die Bezirksvorsteherin Henny Marquardt bei der Einweihung. Jede Tafel hat ihren eigenen Leitsatz wie „Als das Bodelschwingh-Haus noch die Kleinkinderschule an der Diedrichstraße war“ oder „Als die Brücke Langforthstraße noch das Kanalstück überspannte“. Auch zum ehemaligen Ledigenheim, zum früheren Gemeinde-Gasthaus und anderen markanten Punkten gibt es Tafeln.

Die Originalfotos stammen aus dem Fundus der Horsthauser Heimatfreunde, die den Bildband „Unser Horsthausen“ veröffentlicht haben. Das 1999 im Herner Verlag Frisch Texte erschienene 308 Seiten starke Buch beleuchtet anschaulich die Vergangenheit des Stadtteils. Sechs Rentner haben sieben Jahre lang ihre Recherchen, Geschichten und Fotos zusammengetragen. Die Autoren sind heute zum größten Teil verstorben. Das Buch ist derzeit vergriffen. Der Verlag plant aber eine überarbeitete Neuauflage, sagt Geschäftsführer Gerd Schiweck, zum Teil mit farbigen Fotos.