Herne. . Bauernhöfe - das sind in Herne heute kleine mittelständische Unternehmen. Von Volkslied-Romantik kaum noch eine Spur. Im Bauern steckt viel Kaufmann.

Wer im deutschen Volksliedgut firm ist, kennt diese Zeilen mit Sicherheit: „Im Märzen der Bauer sein Rößlein einspannt...“ In einer Hinsicht ist diese Zeile nach wie vor aktuell: Mit dem Beginn der Vegetationsphase erwacht auf den Bauernhöfen das Leben. Doch auf der anderen Seite vermittelt das Lied ein romantisches Bild von der Landwirtschaft, das es so längst nicht mehr gibt. Die WAZ hat sich angeschaut, was es heißt, das „Unternehmen Bauernhof“ zu führen.

Dass dazu neben der Arbeit auf dem Feld auch jede Menge am Schreibtisch gehört, offenbart sich, wenn man einen Blick in das Büro von Gerd Große-Lahr wirft. In den Regalen reihen sich Aktenordner zu Dutzenden aneinander. „Im Bauern steckt sehr viel Kaufmann“, betont Groß-Lahr, das wirtschaftliche Denken stehe im Mittelpunkt der Tätigkeit. Der Hof an der Castroper Straße steht auf mehreren Standbeinen. Neben der Pensionspferdehaltung - unter anderem bietet Tochter Julia Große-Lahr in Kooperation mit dem wohltätigen Verein Ruhrwerk Reittherapie an - hat Sohn Maximilian seit zwölf Jahren die Nische „Direktvermarktung“ besetzt.

Die Nähe zum Kunden ist wichtig

Den Sockel bildet der Verkauf von Spargel und Erdbeeren. Dafür kooperiert Große-Lahr mit Mathias Brauckmann-Berger aus Datteln, der dort das Gemüse und das Obst anbaut. „So nutzen wir das Knowhow des Spezialisten, vermeiden selbst grobe Fehler und haben selbst mit dem Hofladen das nötige Ambiente und die Nähe zum Kunden“, erläutert Große-Lahr, der eigentlich Diplom-Geograf ist, die Zusammenarbeit. Dafür hat er einiges investiert, zum Beispiel in eine Spargelschälmaschine. Der Hintergrund: „In der Hochsaison konkurrieren wir mit den Supermärkten, da müssen wir ein erstklassiges Produkt und Service bieten“, so Maximilian Große-Lahr.

Viele Dokumentationspflichten

Beim Thema Spargel und Erdbeeren offenbart sich, wie sehr ein Bauer die Bürokratie beherrschen muss. Obwohl es Übergangsfristen gibt: Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auch für Erntehelfer ist ein großes Thema, sei es bei der Kostenkalkulation oder den Nachweispflichten.

Selbstverständlich besteht das Sortiment des Hofladens nicht nur aus Erdbeeren und Spargel. Ob Gemüse, Eierlikör oder Honig, Große-Lahr kauft Produkte aus der Region hinzu. Was bedeutet: Er muss sich über die Marge zwischen Einkauf und Verkauf Gedanken machen.

Um noch im Herbst Einnahmen zu erzielen, bietet Große-Lahr seit etwa sechs Jahren Kürbisse. Als neue Facette ist die Hühnerhaltung hinzugekommen - immer mehr Kunden möchten Eier kaufen, deren Herkunft sie kennen. Große-Lahrs Eier sind öko, um ein entsprechendes Siegel hat er sich nicht bemüht: „Das wären zu viele Auflagen und zu viel Papierkram.“

Papierkram, den kennen auch Silke und Heinz Böckmann. Böckmann übernahm 2002 den Hof von seinem Vater. Mit der Viehmast - mit etwa 60 Rindern und 50 Schweinen - und der Direktvermarktung der Produkte hat das Familienunternehmen ebenfalls eine Nische besetzt. „Und es funktioniert sehr gut“, sagt Heinz Böckmann. Öffnet der Hofladen am ersten Samstag im Monat, stehen Kunden aus dem ganzen Ruhrgebiet Schlange, für das Fleisch gibt es Vorbestellungen, bevor die Tiere geschlachtet sind. Das Erfolgsmodell: die Nähe zum Kunden.

Der ausgebildete Dachdecker und Heizungsbauer hat sich mit der Viehmast in eine komplexe Materie begeben. Es gilt eine Vielzahl von Vorschriften und Regeln zu beachten. Und ein Antrag auf Subventionen für die Ackerflächen ist nicht in fünf Minuten geschrieben. Der Schreibtisch sei ein fester Arbeitsplatz. „Die Dokumentationspflichten nehmen Formen an...“, sagt er, ohne den Satz zu vollenden. Was er meint: Silke Böckmann muss jeden Tag die Temperatur der Kühlschränke des Hofladens kontrollieren und aufschreiben. Doch Böckmanns wollen nicht lamentieren, viele Dinge seien vor dem Hintergrund von Skandalen auch verständlich und sogar sinnvoll. Dennoch fehle immer mehr Zeit für andere Dinge.

So könnte man auf die Idee kommen, dass der Bauer, der heute sein Rößlein einspannt, erstmal ein Formular ausfüllen muss.