Im Sommer nimmt das „Talent-Kolleg Ruhr“ in Herne seine Arbeit auf. Talentscout Suat Yilmaz erläutert, wie er Talente findet und fördert.
Im Sommer nimmt das „Talent-Kolleg Ruhr“ in Herne seine Arbeit auf. Ziel ist es, talentierte Schüler, gerade aus Elternhäusern ohne akademische Tradition, unabhängig von Herkunft oder Einkommen an ein Studium oder an einen passenden Beruf heranzuführen (die WAZ berichtete). Eine treibende Kraft hinter diesem Modellprojekt ist Suat Yilmaz. Er ist seit 2011 an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen Talentscout - und sucht seit 2014 auch in Herne, unter anderem am Emschertal Berufskolleg. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert er, wie er Talente sucht und fördert und welche Hoffnungen er an das Herner Kolleg knüpft.
Mit dem Talent-Kolleg geht erstmals eine Hochschule in Herne an den Start. Wieso fiel die Wahl auf Herne?
Herne liegt einfach perfekt in der Mitte des Ruhrgebiets. Hier stimmt die Logistik. Außerdem ist die Stadtspitze auf uns zugekommen und hat zugesagt, dass sie alles möglich macht. Diese Haltung gefällt uns. Herne ist für uns ein ganz wichtiger Standort, denn es ist die erste Stadt, in der alle weiterführenden Schulen am Talent-Programm teilnehmen können. Ich hoffe, dass alle dabei sein werden. Herne wird auch seinen eigenen Scout bekommen, denn in der Stadt gibt es so viele junge Menschen, die nur darauf warten, als Talent entdeckt zu werden. Mein Ziel ist es, dass Herne und die Region zum Hotspot der Talente und so etwas wie eine Bildungsdrehscheibe wird. Das Potenzial ist vorhanden.
Wer ist für Sie denn ein Talent?
Talent ist ein riesiger Begriff (Yilmaz breitet dabei seine Arme weit aus). Dazu gehören Leistungsbereitschaft, Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Wir unterstellen jedem Menschen Talent, man muss sich aber die Zeit nehmen, es heraus zu kristallisieren.
Aber manchmal sprechen die Schulnoten eine ganz andere Sprache...
Talent darf man nicht an Noten festmachen. Unter bestimmten Umständen kommt eine bestimmte Leistung heraus. Talent muss man im Lebenskontext sehen. Man darf Menschen beim bewerten nicht entwerten.
Haben Sie ein Beispiel?
Ja! Ich kenne ein libanesisches Mädchen, deren Eltern maximal bildungsfern sind und nicht einsehen wollten, dass ihre Tochter aufs Gymnasium geht. Es wäre um ein Haar zur Hauptschule gekommen. Es kam doch aufs Gymnasium und machte das Abi mit 2,5. Obwohl es Verantwortung in der Familie übernimmt und die Geschwister betreut. Sie ist eine Leistungsträgerin.
Welche Konsequenz ziehen Sie aus diesem Beispiel?
Wir müssen einen Blick für alle haben. Wir können es uns einfach nicht mehr erlauben, keinen Blick für die sogenannte zweite und dritte Reihe zu haben. Das trifft gerade auf kleine und mittlere Unternehmen zu, denen in Zukunft die Fachkräfte fehlen werden. Unser Bildungssystem ist in Teilen unflexibel, und wir müssen aufpassen, dass die Ungleichheit nicht zementiert wird. Das Bildungssystem müsste zu einem Talentförderungssystem umgebaut werden. Talent ist der einzige Rohstoff, den Deutschland hat, den müssen wir fördern.
Wie fördern Sie denn selbst?
Die ersten Hinweise auf Talente geben mir die Lehrer an den Schulen, danach gibt es individuelle Aufnahmegespräche. Fördern wir, gibt es drei wichtige Elemente. Information, Motivation und Emotion. Ich frage die Jugendlichen immer nach ihrem persönlichen Traum. Wir zeigen ihnen Hoffnung auf, nicht Angst. Warum soll ein Junge aus einer Hartz-IV-Familie nicht den Traum haben, Ingenieur zu werden? Wir können ihnen helfen, den Traum zu verwirklichen. Dabei gilt: Den Satz „Du schaffst es nicht“ gibt es bei uns nicht. Wenn es sein muss, coachen wir die Jugendlichen über Jahre. Und wir müssen emotional Partei für sie ergreifen, wir dürfen nicht neutral bleiben. Allerdings: Am Ende müssen sie ihre Entscheidung selber machen, wir nehmen sie ihnen nicht ab.
Und? Haben Sie Erfolg?
Auch hier muss man sehen, wie man Erfolg definiert. Für mich bedeutet es, dass jeder die für ihn maximale Bildung erhält. Unser Ansatz muss sein, dass jeder Schüler, mit dem wir sprechen, der nächste Nobelpreisträger sein kann. Dann kann das Projekt in Herne erfolgreich sein und einmalig in Deutschland werden.
Suat Yilmaz wurde in seiner Schulzeit selbst gefördert
Die Talentförderung, die Suat Yilmaz an der Hochschule macht, spiegelt teilweise seinen eigenen Lebensweg wider. Er selbst kam als Sohn eines türkischen Gastarbeiters nach Deutschland und hatte in der Schule zunächst sehr viele Probleme. Die Konsequenz: Yilmaz fand sich als ehemaliger Gymnasiast auf der Hauptschule wieder. Nur weil ein Lehrer auf sein Talent aufmerksam wurde und es förderte, schaffte es Yilmaz bis zum Studium. Bei seiner eigenen Förderung will Yilmaz übrigens nicht in den Kategorien „mit oder ohne Migrationshintergrund“ denken. Seine Devise lautet: „Talent finde sich in allen Menschen, unabhängig von der Herkunft.“