Heiligenhaus. . Die Myxomatose sucht jedes Jahr im Herbst auch die Heiligenhauser Kaninchen heim. Bei nass-kaltem Wetter bricht die Population ein. Forscher in Frankreich züchteten den Virus.
Ein Labor. Irgendwo in Frankreich. Ein ganzer Tross von Wissenschaftlern tüftelt in den 1950er Jahren fieberhaft daran, einen südamerikanischen Virus zu isolieren und ihn an neue Wirte weiterzugeben. Die Infizierten haben ein flauschig-weiches Fell, eine Stupsnase und kleine Löffel. Einmal mit der Kaninchenpest (Myxomatose) angesteckt, sollen sie in Australien ausgesetzt werden, um dort die stetig wachsende Zahl ihrer Artgenossen einzudämmen. Denn Myxomatose verbreitet sich rasend schnell und führt in den meisten Fällen zum Tod.
„Doch wie das immer so ist. Wenn etwas schiefgehen kann, geht es auch schief“, weiß Jäger Klaus Sternemann, der die Folgen des Unfalls noch heute in Heiligenhaus spüren kann. Ein paar dieser infizierten Kaninchen entwischten damals nämlich aus ihren Käfigen im Institut und hoppelten über Frankreichs Felder. „Ob die nun wirklich ausgebüchst oder vielleicht auch hier absichtlich freigelassen wurden, darüber wird noch heute spekuliert“, erklärt Klaus Sternemann. Denn auch in Europa gab es in den frühen 1950er Jahren eine Kaninchenplage.
Was dann geschah, mutet wie das Drehbuch eines Horrorfilms an. Blutsaugende Flöhe steckten ein Tier nach dem anderen an. Über Frankreich breitete sich die Seuche wie ein Lauffeuer bis nach Nordrhein-Westfalen aus – auch nach Heiligenhaus.
Als Jungjäger erlebte Klaus Sternemann das ganze Ausmaß der Katastrophe im Münsterland mit. Die verängstigten Tiere versammelten sich in großen Gruppen an Bahnschienen oder Straßen, um nicht ständig irgendwo gegen zu rennen. Denn das wohl prägnanteste Merkmal dieser Viruserkrankung sind die entzündeten und zugeschwollenen Augen. „In den ersten Wochen haben wir noch versucht, die kranken Tiere abzuschießen. Doch dann gab es zu viele“, erinnert sich der ehemalige Hegeringsleiter, „wir dachten, es gäbe danach kein einziges Kaninchen mehr.“ Tausende tote Tiere vergruben die Jäger damals, um die Seuche einzudämmen – gebracht hat es nichts.
Sechzig Jahre später sind die Auswirkungen der Kaninchenpest immer noch zu spüren. Immer wieder finden auch Heiligenhauser kranke Tiere auf ihrem Spaziergang; erst kürzlich sorgten „schreiende“ Tiere auf örtlichen Facebook-Gruppen für Aufsehen. Schuld daran sind nicht nur die französischen Wissenschaftler, sondern auch der Herbst. Jeder nasskalte Herbsttag lässt das Immunsystem der von der iberischen Halbinsel stammenden Tiere schwächeln. Sie werden angreifbar für die Viren.
„Manchmal haben wir 20 Kaninchen im Garten, und vier Wochen später sind es nur noch zwei. Aber es bleiben immer mehr übrig.“ Überlebt ein Wildkaninchen die Myxomatose, ist es für den Rest seines Lebens immun und gibt Abwehrstoffe an seine Jungen weiter.
Wenn nur die Myxomatose den Pelzträgern im Herbst zu schaffen machen würde, könnte sich die drastisch reduzierte Population mit jeder neuen Generation wieder erholen. Vor rund zehn Jahren schlug allerdings ein neuer Virenstamm zu. „Die Chinaseuche kam wie aus dem Nichts. Hier gilt nur das Prinzip Hoffnung“, seufzt Klaus Sternemann. Eine Störung der Blutgerinnung sorgt dafür, dass die Erkrankung in den meisten Fällen nach wenigen Tagen tödlich endet.
Tiefschwarz sieht Klaus Sternemann die Zukunft der Kaninchen in Heiligenhaus jedoch nicht: „Vielleicht erleben die Jungjäger hier im Ort noch das Ende der Krankheiten.“ Bis dahin freut sich der Heiligenhauser jedes Jahr aufs Neue, wenn er die Kaninchen zumindest in den Frühlings- und Sommermonaten in seinem Garten herum hüpfen sieht.