Jeder Kaffeeröster stellt sich seinen eigenen Atlas der Herkunftsländer zusammen. Die WAZ Heiligenhaus hat im Kult Kaffee dabei zugeschaut, wie aus grünen Bohnen mahlbarer Trinkgenuss wird.

An der Westfalenstraße liegt Kenia neben Brasilien: Auf dem grauen Betonboden lehnen sich ein halbes dutzend Jutesäcke aus mehreren Kontinenten aneinander. Die Öffnung des grob gewebten Stoffs gibt den Blick frei auf die obersten von 50 bis 69 Kilogramm rohen Bohnen pro Sack. Blassgrün liegen sie in der Hand, als würde erst die Röstung ihnen Reife verleihen. Blassgrün steigt ihr Geruch in die Nase. Dabei verspricht ihre Herkunft aus Ländern von Afrika bis Südamerika sonnige, satte Farben. Jeder Kaffeeröster stellt seine eigene Weltkarte zusammen. Auf der von Uwe Liebergall stehen Namen wie El Salvador, Kolumbien und Brasilien im Westen; Ruanda und Burundi, Indien und Papua-Neuguinea im Osten. Eine mehrwöchige Überseereise per Schiff haben die Bohnen hinter sich, wenn sie im Kult Kaffee anlanden. Die letzte Etappe ihrer Reise beginnt hier: Sie führt durch Trichter und Schächte, durch Hitze und Kühle. Ihr Ziel haben sie erst erreicht, wenn sie als heißer Genuss die Kehle eines Kaffeetrinkers hinunterrinnen.

Die Arbeit am Kaffee beginnt lange vor der Rösterei. Bevor ein Kaffeebaum seine ersten Bohnen ausbildet, entscheidet sich, ob hier ein neuer Spitzenkaffee Wurzeln schlägt oder die nächste Fuhre Massenware. „Alles spielt eine Rolle, was während des Wachstums maßgeblich ist“, erläutert Liebergall. Das beginnt bei der Sorte und reicht über das Mikroklima bis hin zur Pflege der Plantage.

Kein Ausbildungsberuf

Bis zu einem dutzend Mal suchen die Kaffeebauern denselben Baum auf, um keine Frucht zu pflücken, solange sie noch unreif und grün an den Ästen hängt. Erst wenn sie rot und reif ist, wird sie geerntet. Von Hand. Ob die Frucht sofort getrocknet oder erst fermentiert wurde, ob sie auf Betonböden getrocknet wurde oder auf einer Art Hängematte für Kaffeebohnen; auf Stoffbahnen an Holzgestellen, so dass die Luft von oben und unten ihr Werk verrichten kann: Den Gaumen des Kaffeetrinkers kitzelt jede Entscheidung auf andere Art und Weise.

Aus dem Kühlsieb duftet warme Luft nussig in der Nase. Ein Rauschen ebbt in Wellen auf und ab, wenn die Schaufeln auf dem Sieb ihre Runde drehen und die nächste Schicht gerösteten Kaffees zur Abkühlung an die Oberfläche befördern. Die Bohnen liegen leichter in der Hand als vor der Röstung – und das bei doppelter Größe. Dieses Paradox hat einen unsichtbaren, aber messbaren Grund. „Bis zu 20 Prozent des Gewichts geht beim Rösten durch den Kamin“, bestätigt Liebergall. Die Restfeuchtigkeit des Kaffees verdunstet, Gase wie Kohlendioxid dehnen sich aus und lassen die Bohnen anschwellen.

Wissen wie dieses wird nicht gelehrt: Uwe Liebergall hat einen Beruf, den es eigentlich gar nicht gibt. Kaffeeröster „ist kein Ausbildungsberuf“. Wer ihn ergreifen will, muss einen in anderen Branchen unkonventionellen Weg gehen: den des Quereinsteigers, über Praktika und Seminare. Diesen Weg schlug auch Liebergall ein und hängte 2005 den Anzug seines ursprünglichen Jobs als gelernter Bankkaufmann und studierter Betriebswirt endgültig in den Schrank. Heute trägt er stattdessen Schürze: „Ich klecker’ beim Verkosten immer“, verrät er schmunzelnd, außerdem flusten die Jutesäcke.

Für jeden Kaffee wird ein eigenes Röstprofil ausgetüftelt

Wenn der Profi einkauft, weiß er schon, ob er die neue Lieferung zu Espresso oder Filterkaffee verarbeiten wird. Was er noch nicht kennt, ist der Weg dahin: Der wird an der Westfalenstraße Bohne für Bohne ausgetüftelt. „Feintuning“ nennt Liebergall es, wenn er das zum jeweiligen Kaffee passende Röstprofil entwickelt: Wie heiß läuft der Röster schon beim Einfüllen der rohen Bohnen? Werden sie schnell oder langsam auf die volle Temperatur erhitzt? Wie lange bleiben sie in der Trommel? „Das ist ein Versuchsaufbau.“ Ist Liebergall mit dem Ergebnis zufrieden, wird aus dem Experiment mit einem Probekilo die Serienproduktion. Bis zu 15 Kilogramm kann eine seiner drei Maschinen gleichzeitig rösten, gesteuert von einer penibel programmierten Temperaturkurve.

Eine Viertelstunde bei bis zu 200 Grad: Was in der heimischen Küche in die Kategorie ,Auf die Schnelle’ fällt, entspricht in der Welt der Kaffeerösterei stundenlangem Niedertemperaturgaren. „Ein billiger Industriekaffee wird in zwei Minuten geröstet bei 500 bis 600 Grad“, vergleicht Liebergall: also siebenmal schneller, bei dreifachen Temperaturen. Sagt’s und stemmt, als wöge er nichts, einen 15-Kilo-Eimer Kaffee über seinen Kopf Richtung Einfülltrichter des Rösters. Bis zu 25 Mal am Tag macht er das; je nachdem, ob gerade ein Großauftrag anliegt.

Wenige Minuten später strahlen Gusseisen und Stahl des Rösters einige Handbreit weit Wärme in den Raum, während sich im Inneren die Trommel dreht. Schaufeln wie die einer Schiffsschraube wirbeln die Ladung beständig durcheinander. Hinten führt ein beindickes Rohr nach oben; es erinnert an den chromglänzenden Auspuff einer Harley. In zehn Metern Höhe pustet es die Abluft nach draußen.

Plötzlich gesellt sich zum ständigen Hintergrundrauschen von Abluft und durcheinanderpurzelnden Kaffeekilos ein leises Knacken. First crack nennt der Fachmann es, wenn unter dem Druck der entweichenden Gase die Kaffeebohnen aufplatzen. Ein wenig klingt es nach aufgehendem Popcorn. Und tatsächlich: Verirrt sich ein Maiskorn unter die unzähligen Kaffeebohnen, stellt Liebergall neben fertig gerösteten Bohnen aus Versehen Popcorn her.

Fliegende Kaffeebohnen gibt es ein paar Schritte neben dem Röster zu sehen. Im Entsteiner werden sie per Luftdruck hochgesaugt; unten bleibt der sogenannte Einwurf zurück – das, was der Kunde nicht in seiner Mühle vorfinden möchte. Kleine Steinchen, die sich in die Röstung verirrt haben, sortiert die Maschine aus. Viel Einwurf wirft sie nicht aus: „In den letzten neun Jahren vielleicht ein halbes Glas voll“, schätzt Liebergall.

Produkt wird am Rösttag verpackt

Je weiter sich die Röstung ihrem Ende nähert, desto unruhiger wird Liebergall. Es ist ein kritischer Zeitpunkt: „Wir legen auf die Sekunde genau den Endpunkt der Röstung fest.“ Um die Richtige abzupassen, zieht er wieder und wieder eine kleine, länglich-runde Schublade voller Bohnen aus der Trommel, schnuppert, guckt, steckt die Lade wieder rein: klack. Ziehen, gucken, schnuppern, klack; ziehen, gucken, schnuppern, klack: Das geht einige Male so. Dann hat Liebergall genug gesehen und gerochen: Entschlossen reißt er die Luke zur Trommel auf. Eine Kaskade gerösteter Bohnen ergießt sich auf das Kühlsieb. Es rauscht, es dampft, es riecht: jetzt nicht mehr grün, sondern so braun wie das Holzgebälk an der Decke.

Erster Samstag im September

Den ersten Samstag im September hat der Deutsche Kaffeeverband zum Tag des Kaffees erklärt. Seit 2006 wird er begangen.

Der wohl kurioseste Kaffee wird erst gegessen, bevor er getrunken wird: Eine Schleichkatzenart vertilgt die Bohnen. In ihrem Magen werden sie fermentiert. Haben die Katzen die Bohnen wieder ausgeschieden, werden sie eingesammelt und aufbereitet. Ein Kilogramm „Kopi Luwak“ kostet rund 120 Euro.

Kleinröster wie Uwe Liebergall haben ihren eigenen Verband: die Röstergilde. Mehr Infos hierzu gibt es auf
deutsche-roestergilde.de

Das Image von Kaffee ist gut. Besser könnte es kaum sein: Der Duft von Kaffee werde in punkto Beliebtheit nur noch übertroffen vom Geruch des eigenen Partners, zitiert Liebergall eine Studie. Der Duft, der aus einem seiner Lagerfässer dringt, als er den Deckel abschraubt, gibt ihm recht. Noch am Rösttag verpackt er den Kaffee. Denn das Aroma erfreut zwar die Nase, mahnt aber auch zur Eile: „Was Sie riechen, ist der erste Schritt zum Qualitätsverlust.“