Heiligenhaus. . Die Erntesaison hat begonnen. Auf öffentlichen Streuobstwiesen darf in Heiligenhaus jeder zugreifen. Die Bäume werfen nicht nur Obst ab, sie fördern auch die Artenvielfalt.

In der Abtsküche können Spaziergänger den Übergang von Kultur zu Natur erlaufen: Werden im Museum menschengemachte Exponate bewahrt, sind es einige Schritte weiter naturgewachsene Äpfel und Pflaumen. Wie das Museum ist die Streuobstwiese ein Ort der Bewahrung: Mit ihr lebt eine Art der Landschaftsbewirtschaftung weiter, die seit hundert Jahren ausgedient hat. Mit ihr leben Obstsorten fort, die nicht in die Supermarktregale passen, in denen Dellen in der Schale nicht gern gesehen sind und in denen jedes Obst zu jeder Jahreszeit verfügbar zu sein hat. Nicht zuletzt lebt mit jeder Streuobstwiese eine Idee weiter: Die Idee, dass jedes Stück Obst ein Geschenk ist, das die Natur dem Menschen dann bereitet, wenn die Zeit reif ist.

Noch unreif sind die Äpfel, deren Gewicht die Äste der Bäume ein Stück hinter dem Museum nach unten drückt, Richtung Hände der Passanten. Der richtige Zeitpunkt fürs Zugreifen ist je nach Sorte ab Ende August gekommen; bis in den Oktober hinein erstreckt sich die Erntezeit. Andere Früchte sind früher reif: An den Pflaumenbäumen am Spielplatz Hülsbecker Straße hängen nur noch Nachzügler. Spätzünder sind hingegen die Schlehen: „Da muss einmal der Frost drüber, sonst sind die zu bitter“, sagt Förster Hannes Johannsen. Auch Birnen und Brombeeren wachsen auf Streuobstwiesen in Heiligenhaus. Selten zu finden ist eine Frucht, von der Johannsen dafür umso mehr schwärmt: „An einer Stelle gibt’s Kirschen, die schmecken wie die Amarenakirschen im Mon Chérie.“

Es gilt die Handstraußregel

Wildwuchs zu pflücken, ist auf öffentlichen Streuobstwiesen erlaubt. Allerdings gilt die sogenannte Handstraußregel: Eine Handvoll darf mitgehen, ein ganzer Sack nicht. Das ein oder andere Stück darf dem selbstgemachten Kuchen oder der Marmelade heimischen Biss verleihen. Geschützte Arten sind von dieser Erlaubnis ausdrücklich ausgenommen.

Streuobstwiesen sind mehr als nur eine Frage des Geschmacks. „Das ist ein ökologisches Juwel“, sagt der Förster. „Die Bäume blühen, werfen Futter ab, später bilden Hohlräume Zuflucht für Insekten und Nistplätze für Vögel.“ Grenzen sie darüber hinaus noch an andere Biotope wie eine Hecke, ist das Paradies der Artenvielfalt perfekt. Das Resultat: Vom Schmetterling über Hasen bis hin zu Dachsen, Füchsen und Rehen nisten sich auch am Boden gerne Wildtiere ein.

Die Apfelannahme startet

Ab Montag, 25. August, nimmt die Süßmosterei Dalbeck wieder Äpfel an. Wer will, kann seine Früchte abgeben und gegen Saft tauschen. Eine Gebühr fällt zusätzlich an.

Die Öffnungszeiten der Süßmosterei am Mühlenweg 18: montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr, samstags von 8 bis 13 Uhr.

Domestiziertes Vieh ließen die Bauern auf ihren Streuobstwiesen weiden, als diese Art der Landwirtschaft im Niederbergischen im 18. Jahrhundert aufkam. Durch die Obstbäume erschlossen die Landwirte sich Flächen, auf denen eine Beweidung bis dahin nicht möglich gewesen war. Die Wurzeln gaben den Hängen den nötigen Halt, um auch unter den Hufen von Kühen nicht abzugehen. Wer keine Kühe grasen ließ, erntete am Ende der Saison Heu statt allabendlich Milch. Ob Mahd oder Muh: Der Platz für beides entstand durch den Abstand, der der Streuobstwiese ihren Namen gibt: „Der Begriff kommt daher, dass die Bäume verstreut stehen“, erklärt Johannsen. Die Streuobstwiese ist das Gegenteil dessen, was heute als Spalierobst auf modernen Plantagen in Reih’ und Glied Früchte trägt. Mit dem 19. Jahrhundert begann ihr Ende: Die Molkerei erwies sich als lukrativer.

Heute erinnern in der Gegend „auf einzelnen Gehöften noch Reste“ an den ursprünglichen Obstanbau. Die örtliche Süßmosterei hat ihn zum Geschäftsmodell erhoben. Johannsen erläutert: „Die Idee, Äpfel zu sammeln, hängt hier stark mit Dalbeck zusammen. Darum ist die Idee hier bekannter als in anderen Städten.“ Den Förster freut’s: „Man muss als Kind mal einen Apfel gepflückt haben. Am besten gehört der einem nicht selbst und ist noch ein bisschen zu sauer.“