Heiligenhaus. . Ab Dienstag beraten die Verwaltung und Politik über den Doppelhaushalt 2014/2015. Vorab erreicht Kämmerer Michael Beck eine Hiobsbotschaft: „Uns hat noch ein Torpedo unter der Wasseroberfläche getroffen“, sagt er. Der Bürger muss sich darauf einstellen, den Gürtel noch enger zu schnallen.

Seine Gesundheit wird es ihm danken, dass Michael Beck den Kaffee stehen lässt und sich lieber eine Tasse Tee einschenkt. Zu beneiden ist der Kämmerer nicht: Ab Dienstag will er den Parteien seinen Plan erklären, wie der städtische Haushalt in den Jahren 2014 und 2015 halbwegs ausgeglichen gestaltet werden soll. Klar ist: Der wirtschaftliche Aufschwung ist an Heiligenhaus vorbeigefahren – nicht nur, weil es keine Ausfahrt auf der A44 gibt. „Die Bürger müssen sich auf Belastungen einstellen, die im Zweifelfall noch über das Bisherige hinausgehen werden“, kündigt Michael Beck im Interview mit WAZ-Redakteur Andreas Berten an.

Herr Beck, wären Sie manchmal gerne eine Frau?

Michael Beck: Eine Frau? Darüber habe ich bis jetzt noch nicht nachgedacht. Wieso?

Weil Ihre Kollegin aus Monheim, Sabine Noll, über ganz andere Zahlen bei ihrer Haushaltsberatung reden kann.

Ich denke, das hat weniger mit dem Geschlecht als mit den Rahmenbedingungen zu tun. Ich meine schon, im richtigen Körper zu Hause zu sein (lacht).

Blicken Sie denn vielleicht trotzdem häufiger neidisch auf die Arbeit der Monheimer Kämmerin?

Man kann die Kollegin zu den Rahmenbedingungen dort sicherlich nur beglückwünschen. Aber ehrlich gesagt, so manches Mal denkt man sich auch, dass wir nun lang genug durchs Tal der Tränen gegangen sind und wir auch mal das Glück des Tüchtigen verdient hätten. Wir haben schon viel geschafft – es ist auch noch viel zu tun. Aber man denkt sich schon manchmal: Was hat man Böses angestellt, dass es uns derart getroffen hat und nach wie vor trifft?

Peter Kramer von der SPD hatte es neulich so formuliert: Monheim hat den Sechser im Lotto und noch nicht mal dafür den Schein selbst abgegeben…

Man muss genau hingucken und differenzieren, welche dieser Erfolge hausgemacht und welche einem in den Schoß gefallen sind. Es ist kein Verdienst einer speziellen Stadt, von Autobahnen und Verkehrswegen quasi umschlossen zu sein, was sich ja heute als unschätzbarer Standortvorteil darstellt.

Sie erwarten also bessere finanzielle Zeiten für die Stadt, wenn die A-44-Lücke geschlossen ist.

Das ist ein wesentlicher Bestandteil der Hoffnung. Mit dem Lückenschluss kommen wir überhaupt erstmal an die Startposition, an der sich andere Städte schon seit 20, 30, 40 Jahren befinden. Dann können wir erstmal in einen fairen Wettstreit eintreten, was die Standortbedingungen angeht. Und dieser ist dann auch schon unter anderen Vorzeichen zu führen, weil hier und dort unterschiedliche Steuersätze eine Rolle spielen.

Müssen die Heiligenhauser zittern, künftig im Heljensbad schwimmen zu gehen? 

Ab Dienstag diskutieren Politik und Verwaltung über den Doppelhaushalt für 2014 und 2015. Haben Sie da schon ein mulmiges Gefühl?

Der Landrat hat uns bescheinigt: Wir halten die auferlegten Einsparbemühungen ein und übererfüllen sie. Wir haben zwischenzeitlich einen Haushalt mit Haushaltssicherungskonzept vorgelegt, der fast 6 Millionen Euro Verbesserungen bis 2015 einschließlich bringen soll – davon wird der geringere Teil nur durch Steuererhöhungen erschlossen. Gut vier Millionen kommen aus Einsparungen im Bestand oder Einnahmeverbesserungen an anderer Stelle. Die sprichwörtliche Zitrone ist ausgequetscht.

Müssen die Bürger also fürchten, eines Tages nicht mehr im Heljensbad schwimmen gehen zu können?

Wir können unsere freiwilligen Leistungen an etwas mehr als einer Hand abzählen: Bücherei, Musikschule, Offener Ganztag, Club und Spielhaus sowie Heljensbad. Für die müssen wir kämpfen. Mehr als 96 Prozent des städtischen Haushalts sind Pflichtleistungen. Wir haben eingespart, was geht.

Da kann man in Zukunft gar nicht großartig bei den freiwilligen Leistungen kürzen?

Da stecken auch Personalkosten drin, und von denen kann man sich nicht ohne weiteres durch betriebsbedingte Kündigungen trennen – und das hat natürlich auch seine Berechtigung. Man könnte das nur über eine natürlich Fluktuation hinbekommen. Aber selbst wenn man sich jetzt kurzfristig entscheiden würde, sich auch nur von einem dieser Angebote zu trennen, wären Einsparerfolge kurzfristig gar nicht zu erzielen. Auf der anderen Seite bin ich dann jetzt mal nicht Kämmerer, sondern Jugend-, Schul- oder Sportdezernent: Man kann auch ernsthaft in einer Stadt, die alles tun muss, um attraktiv zu sein oder zu bleiben, nicht über die Offene Ganztagsschule reden. Das ist eine rein freiwillige Leistung, aber aus dem Leben einer Stadt mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie gar nicht mehr wegzudenken.

Träumen Sie manchmal von den Zahlen? Vielleicht sogar von einem Überschuss?

(seufzt) Was nicht zu vermeiden ist: Ich schüttle das nicht ab, wenn ich abends das Rathaus verlasse.

Heiligenhaus hat sich von der Wirtschaftskrise nicht so erholt wie andere Kommunen, die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind noch deutlich zu wenig.

Einige Firmen konnten sich nach dem Ende der Wirtschaftskrise nicht mehr erholen und sind in die Insolvenz gegangen. Ubrig zum Beispiel oder Hitzbleck und Kini haben die Krise nicht überlebt. Wir haben in fünf Jahren mehr als 2000 Arbeitsplätze verloren – diese fehlende Einkommenssteuer kommt noch oben drauf auf die 63 Millionen Gewerbesteuer, die uns zwischen 2009 und 2013 entgangen sind.

Und die Ausgaben sind in dieser Zeit ja nicht weniger geworden.

Trotz unserer wirtschaftlichen Lage zahlt die Stadt Heiligenhaus immer noch mehr als eine Million Euro in den Fonds Deutsche Einheit. Da muss man sich dann wirklich fragen, ob diese Förderung noch zeitgemäß ist. Da nimmt im Moment einfach niemand Rücksicht auf die finanzielle Situation der Städte – so wird das genauso bei uns eingesammelt wie in Monheim, aber auch in einer Stadt wie Oberhausen und Essen. Wir werden bei einer Vielzahl an Pflichtleistungen allein gelassen, was die Finanzierung angeht.

Wie weit ist Heiligenhaus denn finanziell weg von den Pleitestädten aus dem Ruhrgebiet?

Wir sind nur einen Wimpernschlag davon entfernt.

Finanz-Torpedo trifft die Stadt unter der Wasseroberfläche 

Das lässt nicht viel Zuversicht erwarten.

Es erfordert sehr viel Mut und macht ehrgeiziger, trotzdem die kommunale Handlungsfähigkeit zu behalten. Wir haben an allen Stellen versucht, die Ausgabe- und Einnahmesituation so zu gestalten, dass wir an den freiwilligen Leistungen festhalten können. Unser ganzes Augenmerk muss darauf liegen, die Verwaltungshoheit zu behalten – das ist nur möglich, wenn die Überschuldung nicht eintritt.

Von den einst 52 Millionen Euro an Rücklagen ist aber nicht mehr viel übrig geblieben…

Und uns hat dazu nochmal ein Torpedo unter der Wasseroberfläche getroffen. Wir müssen einen kleinen Millionenbetrag an bereits gezahlter Gewerbesteuer für die vergangenen Jahre noch mal zurück ausschütten. Zu den Etatberatungen müssen wir als Verwaltung nachlegen und erreichen, dass der Haushalt nach wie vor den Vorgaben der Kommunalaufsicht entspricht und eine Überschuldung abgewendet wird. Als das bei uns auf dem Tisch landete, war das ein richtiger Schlag ins Kontor.

Wie wollen Sie das auffangen? Wie realistisch sehen Sie dann eingeplante Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer?

Wir kommen von 21 Millionen Einnahmen aus dem Jahr 2008 und rechnen für 2014 nach der Erhöhung der Gewerbesteuer mit gut 14 Millionen Euro. Die Nachzahlung ist da noch nicht drin – das heißt, wir werden unsere Einnahmeerwartung reduzieren müssen. Das kann aber nicht mit einem Automatismus einer weiteren Erhöhung der Gewerbesteuer, mit dem wir uns dann schon an einem Spitzenwert bewegen, einhergehen. Die siebenstellige Verschlechterung muss komplett egalisiert werden – das Minimum von einer halben Million Eigenkapital sollten wir aber nicht unterschreiten. Wir müssen an anderen Stellen dem Bürger deutlich machen: Wenn wir dieses Mindestmaß an kommunaler Infrastruktur erhalten wollen, müssen wir an anderer Stelle noch einmal nachlegen. Das ist eine dramatische Situation, und es wird nicht einfach, den Bürgern und den Gewerbetreibenden, die Heiligenhaus die Treue halten, so viel abzuverlangen.

Die Grundsteuer B wird ja auch erhöht. Die Bürger werden sich genauso wenig freuen wie die Firmen.

Ohne das verniedlichen zu wollen: Wir hatten es in dem Bewusstsein getan, dass es keine Weihnachtskarten von Unternehmen geben wird. Die IHK hat zu unserem Entwurf Stellung genommen und sieht das sehr kritisch. Sie macht deutlich, dass wir an der Stelle mit Hebesatz von 475 Punkten wirklich die Spitzenreiter sind. Wir haben immer versucht, das Ganze mit Augenmaß zu machen. Und ist klar: Wir machen den Standort Heiligenhaus für Gewerbetreibende nicht attraktiver. Fakt ist aber auch, dass wir in den letzten Jahren Firmen verloren haben, die in andere Städte mit deutlich höheren Gewerbesteuersätzen gezogen sind – so kriegsentscheidend scheint der Hebesatz also nicht zu sein. Ein Vermarktungspfund ist das gleichwohl nicht.

Und jetzt sind mit de Wit und Beyer & Müller zwei Firmen nach Velbert gezogen, dem Vernehmen nach zwei aus den Top 10 der Gewerbesteuerzahler. Ist das eingeplant?

Selbstverständlich. Das ist ganz bitter, umso mehr, wenn man sieht: Als die Entscheidung gefallen ist, waren die Konditionen dort schlechter, als sie es hier sind. Die Situation ist misslich, und die Erhöhung des Hebesatzes ist in dem Wissen passiert, dass man damit die Braut nicht aufhübscht. Aber viele Dinge sind in unserer Situation alternativlos und würden sowieso angegangen, wenn wir nicht mehr das Heft des Handelns in der Hand hätten und die Kommunalaufsicht mehr Vorgaben machen würde.

Das wäre dann der GAU.

Ein Sparkommissar kommt erst einige Eskalationsstufen später. Was den Willen zu Einsparungen angeht, haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Jetzt brauchen wir ein entschlossenes Handeln des Rates, der sagt: Wir wollen das Heft des politischen Handelns nicht aus der Hand geben und sind deswegen auch bereit, schwierige Entschlüsse zu fassen in der Hoffnung, dass wir a) Schlimmeres verhindern und b) die Weichen so stellen, dass sie nicht vor die Wand führen und wir den Dreh schaffen.

Warum es sinnvoll ist, einen Doppelhaushalt zu beschließen 

Ist es grundsätzlich überhaupt vorstellbar, dass sich Heiligenhaus von der Industrie abwendet und zu einer reinen Wohnstadt verwandelt?

Wir haben sicherlich viele schöne Ecken, aber allein mit einem Wohnstandort ist es nicht getan. Und wenn man so einem Gedanken nahe tritt, setzt das voraus, dass man in diese Städte eine gute Verkehrsanbindung hat. Egal, wie wir es drehen und wenden – und wir haben schon viele Zuzüge, es besteht also Interesse von auswärts –, solange diese Ausfahrt noch nicht da ist, kann man nicht damit werben: Wenn ihr bei uns wohnt, seid Ihr in spätestens 15 Minuten in Düsseldorf am Flughafen oder in der Innenstadt.

SPD und WAHL wollen dem Doppelhaushalt nicht zustimmen, da sie dem künftigen Rat eine wichtige Entscheidung abnehmen würden.

Wir haben nichts zu verteilen, sondern können uns glücklich schätzen, wenn es gelingt, mit einem Haushalt diese sechs freiwilligen Leistungen und noch ein paar andere zu erhalten – immer unter dem Vorbehalt, dass jetzt es jetzt noch dicker kommt, als man es eh schon befürchtet hat. Wir wollen auch weiter ein verlässlicher Partner sein, zum Beispiel beim Offenen Ganztag für die Verbände und natürlich die Eltern. Es geht da um Arbeitsverträge und die Aussicht, wie Kinder im neuen Schuljahr womöglich untergebracht sind. Bei allem Verständnis für aufziehenden Kommunalwahlkampf: Es spricht mehr für einen Doppelhaushalt als dagegen. Auch ein neuer Rat wird sich schwer tun, sich unter diesen Rahmenbedingungen zurechtzufinden. Dass sich 2015 perspektivisch für 2016 etwas tut, wäre wünschenswert – aber bei dem Zeitraum, den wir jetzt überblicken können, nimmt ein heutiger Rat einem künftigen eigentlich nur die schwierige Entscheidung ab, die sich nicht grundlegend ändern kann in diesem Zeitraum.

Passt da überhaupt noch der Neubau eines Asylbewerberheims rein?

Ein Neubau, egal wie, würde ja nicht über die Stadt laufen, sondern über die Stadt- und Bodenentwicklungsgesellschaft. Die hätte das Invest stemmen müssen, zu dem wir überhaupt nicht in der Lage sind. Deshalb müssen wir alles tun, das Nach-wie-vor-Provisorium an der Ludgerusstraße funktionstüchtig zu erhalten – in jeder Beziehung, auch im Hinblick auf die Anwohner.

Herr Beck, kurzfristig gedacht liegen mit den Etatverhandlungen schwierige Tage vor Ihnen. Wagen Sie auch einen Blick ins Jahr 2024?

Dann ist Heiligenhaus hoffentlich das, was es verdient: eine gut an überörtliche Verkehrsverbindungen angeschlossene Wohn- und Arbeitsstätte. Der Überschuss ist dann der fromme Wunsch des Kämmerers.