Heiligenhaus. . Reise in eine vergangene Welt: Mit Schafswolle stellt der Mittelalterverein Hardenberger Fuhrmannsleut auch heute noch Handschuhe und Mützen her.
Der Geruch von verbranntem Holz liegt in der Luft. Zuerst erreicht das geschäftige Treiben in der Mittelstraße die Nase, dann die Ohren. Stimmen-Wirrwarr, Lachen und ein leises Rattern dringen aus einem der Gärten auf die Straße. Am Ende der steilen Einfahrt tauchen die Besucher plötzlich in eine längst vergangene Welt ein. Auf der Terrasse von Anna Molitor stehen zwei hölzerne Spinnräder, in einer anderen Ecke des Gartens köchelt Wasser in einem eisernen Bottich vor sich hin, und auf einem wackeligen Holztisch liegt ein ganzer Berg Wolle. Molitor und ihre Freunde vom Mittelalterverein Hardenberger Fuhrmannsleut verarbeiten einen Teil der Wolle, die den Skudde-Schafen von Yilmaz Usta (die WAZ berichtete) abgenommen wurde.
„Das Mittelaltergewänder kratzig sind, ist ein Klischee“, sagt Pascal Molitor. Die Handflächenprobe beweist es – sein lindgrünes Gewand fühlt sich erstaunlich angenehm an. Kuschelig weich sind auch die Socken, die Daniela Schröder gerade nadelt. Ja, sie haben richtig gelesen, es heißt wirklich: nadeln. Denn gestrickt wurde im Mittelalter noch nicht.
Wo der Unterschied liegt? „Es ist ein endlicher Faden, der vernäht wird“, erklärt Schröder, während sie sich den senfgelben Wollfaden immer wieder geschickt um den Finger legt und mit der langen Nadel hindurch sticht. In mehreren Arbeitsstunden werden so aus einem langen Faden eine Stulpe für die Unterschenkel oder ein paar dicke Socken, die für warme Füße in den Holzblotschen sorgen.
Doch es braucht viel mittelalterliche Geduld und Mühsamkeit, bevor die Fuhrmannsleut sich die einst filzigen Schafshaare an die Füße ziehen können. Zuerst muss die Skudde-Wolle auseinander gezupft und in einem Zuber vorgewaschen werden. „Es gibt ferkelige Schafe und weniger ferkelige. Manchmal lasse ich die Wolle mehrere Tage im Zuber einweichen, bevor ich sie meiner Waschmaschine zumute“, sagt Anna Molitor. Die frisch gewaschene Wolle spannt die Dame des Hauses dann in eine Maschine ein, die auch eben so gut als mittelalterliches Folterinstrument durchgehen könnte. Mit reiner Muskelkraft setzt Molitor die mit Eisenhäkchen bestückten Räder der Kardiermaschine in Gang; das Wollbüschel verschwindet langsam zwischen den Walzen.
Vom Rad abgelöst, sieht der einst filzige Schafsmantel plötzlich so flauschig-bauschig aus wie Zuckerwatte. „Allerdings ist die Kardiermaschine zum Kurbeln eher neuzeitlich. Früher haben die Menschen das mit einer Art Hundebürste ausgebürstet“, weiß Molitor.
Aus Vlies wird Faden
Heraus kommt dabei zwar nicht Jasons berühmtes goldenes Vlies, aber ein ganzer Haufen gräulich weißes Skudde-Vlies. Socken können die Hardenberger Fuhrmannsleut daraus aber noch nicht machen. Damit aus dichtem Vlies dünne Fäden werden, braucht es ein Gerät, das dem Benutzer den letzten Nerv rauben kann. „Das ist wirklich Arbeit für Doofe. Nicht umsonst heißt’s ‚Die spinnt doch‘“, sagt Stefanie Rademacher und zupft eine Ecke aus dem Vlies, um sie in die Spindel einzuspannen.
Stück für Stück wickelt sich die Wolle um den hölzernen Schaft. Deutlich schneller geht es mit dem Spinnrad, an dem Rademacher platz nimmt. Mit dem Fuß angetrieben, wickelt sich der Faden blitzschnell auf die Rolle. „So ein Rad gab es zwar schon im Hochmittelalter, aber nur in der englischen Industrie“, erklärt Rademacher.
Da die Heiligenhauser mit grauen Gewändern im bunten Trubel der Mittelaltermärkte untergehen würden, färben sie die Fäden noch. Ins kochende Wasser kommen allerdings keine farbenfrohen Chemiebomben, sondern Natur (fast) pur. Indigopflanzen färben die Wolle blau – „aber erst, wenn sie aus dem Bottich an die Luft kommen. Dann oxidiert die Farbe, und man kann sehen, wie der Faden immer blauer wird“, weiß Pascal Molitor. Heute experimentieren die Mittelalter-Fans mit einem Kraut namens Alkanna. Eingelegt in 70-prozentigem Alkohol, färbt es die Fäden lila. Für den nächsten Winter (oder weitere kalte Sommertage) kann Schröder für die Gruppe lila-blaue Socken nadeln.