Heiligenhaus. . Gegen fast alles sind Kräuter gewachsen. Dr. Peter Rüngeler mischt sie in seiner Apotheke zu Arzneitees – nach bis zu 150 Jahre alten Rezepten.
Rezepte kommen in der Apotheke von Dr. Peter Rüngeler nicht nur in Rosa und Blau auf den Tresen, sondern auch schon mal ausgedruckt aus dem Internet. Patienten tischen sie ihm allerdings nicht auf, um sich Medikamente zu erschleichen. Tee heißt die Droge ihres Begehrens. Arzneitee, vom Pharmazeuten selbst zusammengestellt – nach bis zu 150 Jahre alten Anleitungen.
Ob Husten oder Magenbeschwerden – gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen: „Mit Thymian kann man Husten lösen“, sagt Rüngeler, und Pfefferminze hilft bei Atemwegserkrankungen. Beides Kräuter, die aufgegossen als Tee genossen werden können. Wobei das mit dem Genießen so eine Sache ist, genau wie bei Medikamenten: „Wenn ein Arzneitee wirkt, kann er auch Nebenwirkungen haben“, stellt Rüngeler klar.
Auf Wunsch den Fenchelgeschmack im Hustentee übertünchen
Einige kann er allerdings verhindern. Mischt er die Tees selbst zusammen, kann er die Rezeptur verändern, um bestimmte Gesundheitsrisiken von vornherein auszuschließen. Bei einem Hustentee, der unter anderem Süßholzwurzel enthält, würde er selbige bei manchen Patienten „rauslassen, weil sie den Blutdruck erhöhen kann“. Im Gegensatz zu fertigen Medikamenten oder Arzneitees kann der Apotheker beim eigens gefertigten Tee „individuell was zusammenstellen“, erläutert Rüngeler einen Vorteil. Dabei muss es nicht immer um Risiken und Nebenwirkungen gehen. Auch der persönliche Geschmack eines Kunden kann sich in der Teetasse entfalten: Mundet ihm die Fenchelnote des Hustentees nicht, kann Rüngeler das Gemüse einfach weglassen – oder sein Aroma mit einem anderen, wohlschmeckenderen Kraut übertünchen.
Dazu bedient er sich schon mal Büchern, die seine Kunden wohl eher im Antiquariat denn in seiner Apotheke vermuten würden. Seine schlichte Erklärung für die historischen Bände im Regal lautet: „Da wir eine sehr alte Apotheke sind, haben wir auch alte Literatur.“ In der Tat: Von 1859 datiert das „Manuale Pharmaceuticum“. Damit ist es älter als die Apotheke selbst. Der Titel lässt vermuten, was sich auf den Seiten bestätigt findet: Das Handbuch der Pharmazie ist komplett auf Latein gehalten. So heißen die stark abführenden Sennesblätter dort „Folia Sennae“; Kümmel „fructus carvi“. Für Rüngeler kein Problem: Das sei „Pharmazie-Latein“, winkt er ab, „vieles davon wird im Alltag im Labor gebraucht“.
Rezepte aus dem Mittelalter und aus dem Internet
Dort tummeln sich in braunen Plastikschütten, wie man sie kleiner aus alten Küchen kennt, Ingredienzien wie Scharfgarbe, Melisse und Birkenblätter; getrocknet, geschnitten, ganz oder pulverisiert. Genauer gesagt, lagern sie kurz vor der Labortür: „Tees müssen getrennt von anderen Stoffen gelagert werden“, erklärt Rüngeler die Separation. Denn es entsteht Staub, wenn die einzelnen Zutaten in Schalen eingewogen, im gusseisernen Mörser zerkleinert und in Dosen abgemischt werden. Staub aber darf die übrigen Stoffe im Labor nicht verunreinigen. Schließlich sollen nicht nur die Arzneitees, sondern auch die anderen Medikamente im Sortiment das halten, wofür sie den Patienten verschrieben wurden.
Die betreten oft genug die Löwen-Apotheke mit Rezepten, die nicht vom Arzt stammen, sondern aus dem Internet. Diese druckfrischen Rezepte entpuppen sich bei genauerem Hinlesen mitunter als uralt: „Die stammen teilweise aus dem Mittelalter“, sagt Rüngeler. Er prüft in solchen Fällen die Sinnhaftigkeit der Rezeptur und die Verfügbarkeit ihrer Zutaten. Ist beides gegeben, mischt er eben mal einen Tee aus der Ritterzeit. „Alle paar Tage“, schätzt er, kommen Kunden mit Tee-Wünschen in die Apotheke: von der jungen Mutter bis zum älteren Herrn.
Auch Rüngeler selbst setzt zum Beispiel bei Erkältungen auf die eigenen Arzneitees. Ansonsten aber setzt er lieber etwas Stärkeres auf: „Ich bin eigentlich Kaffeetrinker.“
Mit der Autorin auf Twitter diskutieren: @MdeCleur