Heiligenhaus. . NRW startet Kampagne zur Alkoholprävention unter dem Motto „Sucht hat immer eine Geschichte“. Schulen können einen Methodenkoffer ausleihen.

Was passiert, wenn man zu viel Alkohol getrunken hat? Wie reagiert der Körper? Was fühlt man da? Jugendliche sollen das im Unterricht testen. Nicht wie einst Heinz Rühmann im Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“ durch einen Selbstversuch mit alkoholischer Gärung. Das geht auch anders. Nämlich mit der Rauschbrille.

Das einer Taucherbrille nicht unähnliche Instrument gaukelt dem Träger tatsächlich Trunkenheit vor. Man erlebt eine eingeschränkte Rundumsicht, Doppelsehen, verzerrte Proportionen, den typischen Tunnelblick. „Ich lasse die Jugendlichen dann gerne mal einen Ball fangen oder Kleingeld vom Boden aufheben“, sagt Sandra Heinsch. Die Diplom-Pädagogin ist als Suchtprophylaxefachkraft bei der Diakonie Niederberg tätig und als solche oft auch in Heiligenhauser Schulen zu Gast.

8,2 Prozent sind gefährdet

Die Szenen, die sie beim Einsatz der Rauschbrille erlebt, sind stets wiederkehrend: Die anfänglich so coolen Mädchen und Jungen zeigen erhebliche Unsicherheiten, versuchen auf dem Boden kniend Geldstücke zu greifen – und scheitern an ihrer Grobmotorik. „Das ist lustig für alle, die zuschauen.“

Weniger lustig sind die Zahlen: 8,2 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen hierzulande haben einen riskanten Alkoholkonsum, laufen Gefahr, in die Abhängigkeit abzudriften. Statistisch ist jeder zehnte Bundesbürger suchtgefährdet. „Wenn ich in einer siebten Klasse frage, wer noch nie Alkohol probiert hat, melden sich allenfalls zwei oder drei Schüler“, sagt Sandra Heinsch. Prävention schon bei den Zwölfjährigen sei wichtig, um vor Missbrauch zu schützen.

Das Land NRW hat dazu aktuell eine Kampagne aufgelegt: Unter dem Motto „Sucht hat immer eine Geschichte“ wird Schulen und Jugendeinrichtungen ein Methodenkoffer zur Verfügung gestellt. In Heiligenhaus und Velbert hat die Fachstelle Sucht der Diakonie zwei Exemplare bekommen.

Neben der Rauschbrille enthält der Koffer u.a. ein interaktives Quiz, bei dem die Jugendlichen Punkte sammeln können. Anhand von Karten mit Stichworten wie „Gewöhnung“, „Genuss“, „Abhängigkeit“ und „Missbrauch“ sollen die Stationen der Alkoholsucht diskutiert und mit Beispielen unterlegt werden. Ein fiktiver Film über den Unfalltod eines Jugendlichen spricht außerdem „sehr die emotionale Ebene der Jugendlichen an“, weiß die Suchtberaterin, die den Methodenkoffer nach Absprache den Schulen zur Verfügung stellt. Ganz wichtig ist Sandra Heinsch hierbei: „Die Eltern gehören mit ins Boot, wenn das im Unterricht behandelt wird.“

Schwere psychische Störungen bei Drogenmissbrauch

„An einem Methodenkoffer auch für andere Drogen und Rauschmittel wird noch gearbeitet“, erklärt Sandra Heinsch weiter. Auch in diesem Bereich gelte es, das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen für die Gefahren von Abhängigkeit und Missbrauch zu schärfen.

„Ein bisschen Kiffen ist nicht so schlimm“, bekäme sie von den Schülern häufig zu hören, erzählt Heinsch. Diskussionen anzustreben um die Freigabe von Cannabis, seien dabei wenig zielführend. „Wichtiger ist zu zeigen, was passiert, wenn man diesen illegalen Konsum mitmacht.“ Vielen Jugendlichen sei gar nicht klar, dass ein polizeilich festgehaltener Fehltritt Konsequenzen für die Berufswahl und auch den Erwerb des Führerscheins haben können.

Ebenso seien die psychischen Folgen oft dramatisch. „Wir haben inzwischen etliche Klienten mit Psychosen, die vom Cannabiskonsum herrühren. Diese Menschen sind schwierig zu therapieren, sie haben deutliche Entwicklungsverzögerungen im emotionalen Bereich“, sagt Werner Starke, Diakonie-Geschäftsführer. Eine Rückkehr ins „normale“ Leben? Dies sei oft schwierig, weil die Defizite so erheblich seien.