Heiligenhaus. . Der Streik ist beschlossen, noch im September wollen die Ärzte ihre Praxen dicht machen. In Heiligenhaus werden sich nicht alle Mediziner daran beteiligen.

Die Heiligenhauser Bürger müssen sich darauf einstellen, dass sie noch im Laufe dieses Monats vor verschlossenen Praxistüren stehen, wenn sie ihren Arzt aufsuchen wollen. Nicht bei allen, aber zumindest bei einigen. Denn obwohl sich, wie gestern bekannt wurde, ein Großteil der bundesweit rund 130 000 niedergelassenen Ärzte im Streit mit den Krankenkassen um höhere Honorare für einen Protest in Form der Arbeitsniederlegung entschieden haben, ergibt sich unter den Medizinern der Stadt ein geteiltes Meinungsbild.

Heidemarie Pankow-Culot hält den noch nicht terminierten Streik für falsch. „Es ist richtig, dass wir Signale setzen“, sagt die Kinderärztin – aber in Form von Aufklärung. „Vor fünf Jahren hatten wir auch Streik, da war meine Praxis zu. Der Patient versteht das nicht und leidet darunter.“ Was sich nach Jammern auf hohem Niveau anhört, wenn Ärzte steigende Material- und Lohnkosten beklagen, ist bei genauerem Betrachten ein Aufschrei gegen die Bürokratie. Pankow-Culot beklagt „ein paradoxes System“ und rechnet vor. Die Krankenkassen zahlen Praxen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein pro Patient jährlich eine maximale Versorgungspauschale von 330 Euro. „Wir haben Mitte September, das Quartal ist noch nicht beendet, und mein Budget ist ausgeschöpft“, erklärt die Kinderärztin, „ich muss aber weiterarbeiten.“ Kein Verständnis hat sie dafür, dass in anderen Bundesländern bis zu 56 Euro mehr pro Patient zur Verfügung stehen: „Warum“, fragt Pankow-Culot, „soll ein Thüringer Patient in der Behandlung mehr wert sein als ein Heiligenhauser?“

Der Arzt von nebenan ist bedroht

Und so fürchtet Heidemarie Pankow-Culot, einmal keinen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. „Wir laufen Gefahr, dass es den Facharzt vor Ort, zu dem man zu Fuß gehen kann, irgendwann nicht mehr gibt.“ Sie ist 49 Jahre alt, der zweite Kinderarzt in Heiligenhaus, Dr. Georg Paulus, ist 50. „Wir kommen beide gleichzeitig ins Rentenalter“, sagt Pankow-Culot, „überhaupt gibt es in Heiligenhaus doch nur ganz wenig junge Ärzte.“ Um sich niederzulassen, müssen die angehenden Mediziner nicht nur sechs Jahre Studium und fünf Jahre Facharztausbildung auf sich nehmen, sondern auch viel Geld in eine Praxis investieren. „Im Krankenhaus beschäftigte Ärzte gehen ein geringeres Risiko ein, haben ein reguläres Gehalt und geregelten Urlaub. Ich hatte in diesem und im letzten Jahr je zwei Wochen Ferien.“

Da die Ärzte aber eine äußerst heterogene Gruppe sind, befürwortet so mancher die Entscheidung, die Praxen geschlossen zu lassen. „Das ist absolut notwendig und nichts anderes als bei Fluglotsen oder Eisenbahnern“, bekräftigt Dr. Sven Authorsen. Dem Orthopäden ist natürlich daran gelegen, „dass die Notfallversorgung darunter nicht leiden darf.“ Weshalb Authorsen unter Streik auch eher „Warntage“ versteht. Doch allein schon deshalb, weil die Ärzte die Ausgangsposition der Kassen, die gültigen Honorare um 2,5 Prozent zu senken, „als Hohn“ (Authorsen) empfinden, müsse es „spürbare Einschränkungen“ geben.

Dabei macht Dr. Engelbert Adolphs nicht mit. „Streik kommt für mich nicht infrage“, betont der Allgemeinmediziner, denn „es ist keine Alternative, dass keiner mehr der kassenärztlichen Arbeit nachgeht.“ Zu dem Wunsch vieler Kollegen, mehr zu verdienen, sagt er: „Ich komme in so viele Haushalte, in denen Leute mit 800 Euro auskommen müssen…“ Deswegen schlägt sich Adolphs im Kampf mit den Krankenkassen voll und ganz auf die Seite der Kranken: „Wenn ich mich schon kloppe, dann doch mit Leuten, die eine Chance gegen mich haben – und das sind die Patienten nicht.“