Heiligenhaus. . Tanzen löst beim Zweibeiner allzu menschliche Frühlingsgefühle aus. Die WAZ ist den Gründen nachgegangen.

Dass eine Tanzfigur beim Jive nach dem Flirt benannt ist, ist kein Zufall. „Tanzen ist ideal, um zu flirten, sich näherzukommen, zu fühlen“, sagt Jürgen Heigl, Inhaber der Tanzschule Heigl. Die WAZ ist den Frühlingsgefühlen auf dem Parkett einmal nachgegangen.

Die gute Nachricht für alle Singles: Mit dem kalendarischen Wechsel vom Winter zum Frühling ist die innere Uhr des Menschen von Pärchenzeit auf Paarungszeit umgesprungen. Nicht nur in freier Wildbahn auf Partys, Singlebörsen und Blind Dates, sondern auch präzise durchchoreographiert zum Takt der Musik: „Single-Anfragen haben wir mehr im Frühjahr“, stellt Jürgen Heigl fest. Auf der Suche nach einem (Tanz)-Partner strömen in dieser Jahreszeit die noch zu Habenden in die Kurse. „Dann führen wir sie zusammen“, sagt Heigl. So manches Paar traut sich nach dem Abschlussball nicht nur an Walzer, Cha-Cha-Cha oder Tango heran, sondern auch vor den Altar: „Bei der letzten Beziehung, die hier begonnen hat, war ich DJ auf der Hochzeit“, verrät der Tanzlehrer mit einem breiten Grinsen.

Die verkuppelnde Wirkung des gemeinsamen Wiegens im Takt kommt nicht von ungefähr: „Rumba ist das Werben von Mann und Frau“, bringt Heigl die kulturelle Funktion des Tanzens auf den Punkt. Wer’s weniger subtil mag als in der Rumba, sollte sich vielleicht einmal in einen Salsa-Kurs wagen: „Da geht’s richtig ab.“ Eigentlich aber, so Heigl, sei jeder Tanz ein Flirt in zwei Paar Schuhen: „Es gibt keinen Tanz, wo man sich nicht gegenseitig im Arm hält.“

Kommunikation der Bewegung

Und dabei loslässt. Jedenfalls innerlich. Denn zwischen Chassé, Tap und Wiegeschritt darf der Verstand einfach mal ruhen. „Sie denken nicht mehr, Sie tanzen nur noch.“ Auch gesprochen wird nicht mehr, jedenfalls nicht das zwischen Frau und Mann oft so missverstandene Wort: Es herrscht die „Kommunikation der Bewegung“, wie Heigl es nennt.

Die funktioniert so gut, weil die Herzen beider Geschlechter offenbar im Takt der Musik schlagen. „Wenn man Musik hört, möchte man sich bewegen“, erklärt Heigl. Und das am liebsten zu zweit. Wetter und Radio tragen im Frühling das ihre dazu bei: „Gutes Wetter, gute Musik – das ist Magie. Das inspiriert einfach“, schwärmt der Tanzlehrer. Wer sich also dabei erwischt, wie er im Feierabendverkehr das Auto aus dem Takt bringt, weil die Füße auf den Pedalen zur Musik zucken, sollte vielleicht einfach mal – tanzen gehen.

Umgangsformen sind immer noch wichtig

Wer das in der Tanzschule tut, muss sich zumindest bei Jürgen Heigl an einige Regeln halten, die antiquiert anmuten in einer Gesellschaft, in der es zum guten und eben nicht zum schlechten Ton gehört, rund um die Uhr per digitalem Piep erreichbar zu sein: „Handys aus“ steht etwa auf einem Schild am Treppenaufgang, lediglich ein Ausrufezeichen trennt es von „Kaugummi raus“. Beim Thema Etikette kennt der sonst so lockere Jürgen Heigl kein Pardon: „Tanzschulen haben einen Auftrag, die Umgangsformen zu lehren. Das gehört auch dazu.“ Und kommt offenbar selbst bei der als erziehungsresistent verschrienen Jugend an: „Die Jugendlichen finden das ganz interessant“, sagt Heigl. Der Trick dabei: „Wir zeigen ihnen, dass Etikette ein Vorteil für sie ist.“

Doch für diesen Aha-Effekt müssen die Teenager erst einmal in die Tanzschule kommen. Das aber tun wenige. Der Nachwuchs, das gibt Heigl unumwunden zu, stürmt eher die Diskotheken als den klassischen Standard/Latein-Kurs. Trotzdem ist ihm um die Tradition des getanzten Flirts nicht bange: „In der Disco tanzen sie doch auch.“ Wer weiß, vielleicht wechseln manche von ihnen eines Frühlings doch noch vom Dancefloor aufs Parkett.