Heiligenhaus. . Die beiden Anti-Gewalttrainer Ralph Ott und Martin Rogge sind ein eingespieltes Team. Gesamtschüler spannen Seile für einen Parcours. Dann ist alles eine Sache des Vertrauens und der Teamarbeit.
Die Schüler haben Unterricht. Nichts Besonders! Klassenlehrer der 7b, Heinz Grefer, sitzt mit ihnen im Stuhlkreis. Nichts Besonderes? Doch, denn er nimmt ebenfalls an den Schulstunden teil. Sein Kollege Ralph Ott sowie der Schul-Sozialpädagoge Martin Rogge leiten nämlich den vierstündigen Unterricht an der Gesamtschule.
Warum? Die Zwei haben sich zu Anti-Gewalttrainern ausbilden lassen – aus unterschiedlichen Beweggründen, aber beide aus Überzeugung. Acht Wochenenden ihrer Freizeit – April bis Ende 2011 – nutzen die beiden zur Fortbildung. Einen Teil der vierstelligen Kosten bezahlten sie aus eigener Tasche. Überstunden sind selbstverständlich.
Wie sieht die Umsetzung aus? In der Klasse werden, gemeinsam mit den Schülern, in der ersten Unterrichtseinheit Regeln aufgestellt. „Die Regeln sind von Klasse zu Klasse unterschiedlich, ähneln sich aber“, sagt Ott. Spannend wird es für die Kinder bei der ersten Übung. Ordentlich Vertrauen bedarf es nämlich, wenn einer über ein verknotetes Seil schreiten muss, das die Mitschüler halten.
Die ersten Schritte sind wackelig und mühselig
Aufgeregt sind die Siebtklässler, halten alle das Seil fest. Die ersten Schritte sind wackelig und mühselig, dann macht sich Grinsen breit, ausgelöst durch das Gefühl: „Es klappt!“ Glücklich sind, die den einen Meter hohen Parcours bewältigen. „Es ist, als ob man schwebt“, findet Canija. „Voll das coole Gefühl“, beschreibt Jean-Pierre seine Erfahrung. Marcel sagt, es sei komisch, so viel Luft unter den Füßen zu haben. Angst habe er nicht gehabt. „Es ist eine tolle Klasse“, lobt er seinen Verbund. „Wenn man falsch tritt, fliegt man hin“, fasst Thomas das Risiko zusammen. Und zack, da passiert es. Ein Fehltritt. Abbruch. Stuhlkreis. Besprechung. Fehleranalyse.
Zielsicher lassen Rogge und Ott die Kinder sich selbst analysieren. Stellen Fragen, die die Ursache erkunden. Greifen bei Zwischenrufen ein. In Windeseile bringen sie die Schüler zur reflektierenden Auswertung des Geschehens. Während die Kinder lauschen, ist die Konzentration der beiden Trainer zu spüren, um auf den Punkt zu kommen. „Das ist Teamwork, da sind alle Schuld“, fasst Ott zusammen.
Die Übungen sind auf Wertschätzung und Empathie ausgerichtet
Die Zwei sind ein eingespieltes Team. Und sie wollen, dass die Kinder die Erfahrungen begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes. „Es ist eine Langzeitpille“, sagt Rogge. „80 Prozent der Übungen sind auf Wertschätzung und Empathie ausgerichtet“, erklärt der Sozialpädagoge, „und 20 Prozent auf Konzentration.“ Die Schüler werden in diesen Phasen mit ihrem Verhalten konfrontiert und spüren ganz nah, dass es Konsequenzen hat. „Fehler können passieren“, resümiert Rogge, „man muss nur daraus lernen.“
Neuer Versuch: Martin Rogge verlässt sich auf die Klasse, die ihm das Seil hält. Das klappt prima. Zu späterer Stunde nimmt sich auch Ott ein Herz, atmet durch, äußert Angst und geht trotzdem durch. „Klare Linie mit Herz“ lautet das Motto.
Großes Amüsement für die Kinder bei der Anti-Blamierübung – einem Rollenspiel. Beeindruckend finden sie ihren Klassenlehrer. Berührungsängste scheint es nicht zu geben. Dann ist der Spaß vorbei. Stuhlkreis. Besprechung. Es wird Ernst. Wie war es? Wenige fanden es langweilig. Vielleicht, stellt Ott in Frage, waren sie selber es, die dafür verantwortlich waren, weil sie nicht richtig mitmachten? Alle Schüler halten inne.
Am Ende erfolgt die Auswertung
„Viel wichtiger als die Übungen sind die Auswertungen“, fassen die Anti-Gewalttrainer zusammen. Und trotzdem „müssen die Kinder das praktisch am eigenen Leib erfahren, theoretisch geht es nämlich rein – und raus“, weiß Ott.
Alle siebten Klassen der Gesamtschule sollen von dem Training profitieren. „Wir machen das nicht, weil unsere Schule so gewalttätig ist“, betonen Rogge und Ott. Vielmehr stärke ihre Arbeit den Zusammenhalt zwischen Lehrer und Schülern. „Bevor ich die Ausbildung gemacht habe“, gibt Ott zu, „bin ich mit den Schülern anders umgegangen und hätte manches Mal einen rausgeschmissen.“ Jetzt bieten und üben Martin Rogge und Ralph Ott empathische Handlungsalternativen für Schüler und Lehrer.