Heiligenhaus. Die Türkisch-Islamische Gemeinde trauert um den 17-Jährigen, der am Montag von seinem jüngeren Bruder tödlich verletzt wurde. Die Polizei geht inzwischen von Notwehr aus und ließ den 16-Jährigen wieder frei.

Mehr als 300 Menschen versammeln sich am Dienstag nach dem Mittagsgebet vor der Moschee an der Bahnhofstraße: Die Türkisch-Islamische Gemeinde nimmt Abschied. Abschied von dem 17-Jährigen, der am Tag zuvor an der Breslauer Straße durch die Hand seines nur ein Jahr jüngeren Bruders tödlich verletzt wurde (die WAZ berichtete).

Die Trauerfeier unter freiem Himmel dauert nur wenige Minuten. Der Imam betet mit den Angehörigen und Freunden, viele von ihnen weinen. Über dem Sarg liegt ein grünes Tuch mit Schriftzeichen aus dem Koran – „gute Worte für die letzte Reise”, erklärt einer der Trauernden.

Der Leichnam des 17-Jährigen soll heute bereits auf dem Weg in die Türkei sein, um im Familiengrab in Ankara beigesetzt zu werden. Die Großeltern, die ebenfalls in Heiligenhaus wohnen, sind bereits dort, denn erst vor wenigen Tagen haben sie in der alten Heimat einen anderen Enkel zu Grabe getragen. Er starb an einer schweren Krankheit.

Schock und Trauer im Nonnenbruch

Die Familientragödie, sie nahm ihren Anfang an der Breslauer Straße. Die Brüder hatten sich am frühen Montagnachmittag in der elterlichen Wohnung gestritten. Die Situation eskalierte, dann kam ein Messer ins Spiel. Bei der Auseinandersetzung war auch der Jüngere der beiden, den die Polizei am Montag festgenommen hatte, verletzt worden. Was die tödlichen Messerstiche betrifft, gehen Polizei und Staatsanwaltschaft nach den bisherigen Untersuchungen und Vernehmungen von Notwehr aus. Der 16-Jährige wurde daher gestern wieder freigelassen. Zu den Hintergründen der Tat, den Auslöser des Streits, wurde nichts bekannt.

In dem kleinen Kiosk im Nonnenbruch herrschen Schock und Trauer. Und Ratlosigkeit. „Wir haben gehört, die beiden hatten immer Streit”, sagt Kiosk-Besitzer Ismail Aydogan, „aber dass so was passiert, hab' ich nie gedacht.” Der getötete 17-Jährige hatte gerade seinen Abschluss an der Hauptschule gemacht und, wie man sich erzählt, auch seine Führerscheinprüfung bestanden. „Er wollte jetzt arbeiten gehen für die Familie”, berichtet Aydogans Tochter.

Bei der Auseinandersetzung waren die Jungs allein zu Hause, zusammen mit ihrem jüngsten Bruder; die Eltern waren offenbar arbeiten. Der Sechsjährige, so bestätigt die Polizei, sei losgerannt zu den Nachbarn, um Hilfe zu holen. Auch um den Benjamin der Familie machen sich viele Nachbarn jetzt Sorgen: „Er hat doch alles miterlebt”, sagt Aydogan.

„Lieb und hilfsbereit” soll der älteste Sohn gewesen sein, sein 16-jähriger Bruder sei dagegen eher verschlossen und ruhig. Auch er besucht die örtliche Hauptschule, geht dort in die achte Klasse. Um das Geschehene mit den Mitschülern aufzuarbeiten, schickte der Kreis Mettmann am Dienstag in Abstimmung mit Schulleitung und Stadt zwei Landes-Schulpsychologinnen und einen Notfallselsorger. Auch heute werden sie noch einmal vor Ort sein.

Was das Gesetz sagt

Notwehr ist. . .

. . . laut Strafgesetzbuch die zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderliche Verteidigung. Entscheidend ist die Verhältnismäßigkeit von Angriff und Abwehr: So wäre die Tötung eines Menschen zum Schutz wertloser Güter keine Notwehr. Auch darf man den Angreifer, gegen den man sich zur Wehr setzt, vorab nicht selbst provoziert haben.

„Unser Mitgefühl und unsere Trauer gelten jetzt den Angehörigen”, sprach der Erste Beigeordnete Michael Beck gestern im Namen der Verwaltung und des Stadtrates „tiefes Bedauern zu dieser schrecklichen Tat” aus. Dass Täter und Opfer Geschwister sind, treffe die Familie besonders schwer.

„Wir sind alle geschockt, keiner weiß damit umzugehen”, sagt Yusuf Uzun, Vorstandsmitglied der Türkisch-Islamischen Gemeinde vor Ort. „Es ist schrecklich, eine echte Familientragödie. Über wen sollen sie trauern – über den Toten oder über den, der jetzt bestraft wird?”