Die Debattenkultur in Heiligenhaus droht aus dem Ruder zu laufen. Argumente sind berechtigt, aber in einem anderen Rahmen nötig. Ein Kommentar.

So voll war es selten: Die Tribüne im Sozialausschuss in Heiligenhaus platze aus allen Nähten. Gefüllt war sie, unter anderem, mit Anwohnern, die unzufrieden mit der Unterbringung von Geflüchteten im Haus Selbeck in der Rügenstraße sind. Diesem Ausschuss beizuwohnen, ist ihr gutes Recht! Zudem sind ihre Bedenken zum Teil nachvollziehbar: Heiligenhaus hat das Haus Selbeck für 4,6 Millionen an Steuergeldern ersteigert. Dabei müsste die Stadt dies nicht zwangsläufig für Geflüchtete nutzen – beispielsweise wäre auch eine KiTa, ein Alten- oder Pflegeheim sowie ein Ärztehaus denkbar.

Die Bauruine Haus Selbeck in Heilingenhaus an der Rügenstrasse. Aussenaufnahme vom Montag den 13.03.2023. Foto: Dirk A. Friedrich / Funke Foto Services
Die Bauruine Haus Selbeck in Heilingenhaus an der Rügenstrasse. Aussenaufnahme vom Montag den 13.03.2023. Foto: Dirk A. Friedrich / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Hinzu kommt: Eine zentrale Unterbringung von Geflüchteten verändert die Nachbarschaft – schließlich kommen bis zu 150 Nachbarn dazu. 37 von ihnen bewohnen bereits eines der beiden Gebäude an der Rügenstraße. Gleichzeitig treffen Kulturen und Sprachen in dieser Straße aufeinander, die ansonsten wahrscheinlich niemals zusammengefunden hätten.

Befürworter müssen Chance zum Dialog wahrnehmen

Ein Miteinander bedeutet deshalb zunächst vor allem eines. Arbeit. Für alle Beteiligten. Arbeit, die für die bisherigen Anwohner beim Einzug oder Hauskauf nicht absehbar war. Inwiefern Sicherheitsbedenken und der Wert der eigenen Immobilie bei den Sorgen der Betroffenen mitschwingen, ist unklar sowie unbegründet. Auszuschließen ist dies jedoch nicht, wenn in einer Petition bereits von „Brennpunktbildung“ die Rede ist.

Am lautesten sind nie diejenigen, die ausnahmslos zufrieden sind, sondern alle, die sich mit dem Status-quo eben nicht anfreunden können. Dass die „stille Seite“ deshalb das Recht verwirkt hat, sich im Sinne der demokratischen Verständigung zu äußern, ist allerdings ein Trugschluss. Um jede und jeden zur Flüchtlingsdebatte zu unterrichten und viele von ihnen zu Wort kommen zu lassen, ist eine Informationsveranstaltung der Stadt Heiligenhaus geplant.

Anstatt das Rederecht in einer Sitzung unerlaubt – und ungewünscht – an sich zu reißen, können die Besucherinnen und Besucher des Sozialausschusses dort ihre Bedenken vorbringen. Im dafür vorgesehenen Rahmen, ohne den Dialog mit Befürwortenden zu hintergehen. Genauso liegt es auch an Letzteren, diese Chance zum Gespräch tatsächlich wahrzunehmen.

Und wenn es zum Streit kommt? Sofern dabei der Respekt gewahrt wird, wäre es das Beste, das der Debatte in Heiligenhaus passieren könnte. Gleichwohl befinden sich damit alle Heiligenhauser Bürgerinnen und Bürger in einer besseren Lage als die Geflüchteten. Schließlich haben sie gar nicht die Möglichkeit, über ihre Unterbringung, ihr Schicksal und ihre Nachbarschaft zu diskutieren. Im Gespräch mit den Familien im „Haus eins“ hat sich gezeigt: Sie wollen Teil der Gesellschaft werden, haben zugleich die Hoffnung, Sicherheit und Arbeit in Heiligenhaus zu finden. Es wäre fatal, ihnen diese Gelegenheit von vorne rein auszuschlagen.