Heiligenhaus. Der Verein „Vergessene Kinder“ ist das Lebenswerk der Heiligenhauserin Petra Ullrich – seit über 20 Jahren. Und sie macht immer weiter.
Petra Ullrich zeigt auf ein Foto, darauf: eine hochschwangere junge Frau und ein Mädchen, etwa sieben Jahre alt. Rechts im Bild steht ein moderner roter Kinderwagen, ein Paket Windeln kann man erkennen, Feuchttücher, eine Babydecke. „Das ist die kleine Dana und ihre Mama Maria“, erklärt die 55-Jährige, „sie gehören zu einer der zwölf Familien, die wir seit Jahren in Mosna mit dem Notwendigsten versorgen. Sie sind wirklich sehr arm. Den Kinderwagen und das Newborn-Starterset haben wir mit der letzten LKW-Tour letzte Woche dorthin mitgenommen“.
Verein ist Lebenswerk
Auf einem anderen Foto sieht man einen zarten Jungen mit verkümmerten Beinen. Er hält sich an den Griffen eines grünen, kindergerechten Rollators fest und strahlt in die Kamera. Sein Bruder hält ihn an den Schultern. „Dieses hochwertige Fahrgerät ist eine Spende des Sanitätshauses Höfges & Koch hier aus Heiligenhaus“, informiert Petra Ullrich und strahlt, „damit kann sich der Junge nun das erste Mal in seinem Leben fortbewegen“. Man merkt es ihr an: Der Verein „Vergessene Kinder“ ist ihr Steckenpferd, ihr Lebenswerk, ihr viertes Kind (drei hat sie bereits großgezogen) - das allerdings scheinbar niemals flügge wird. Die Armut in Rumänien ist einfach zu groß.
Gründung vor 22 Jahren
Vor 22 Jahren hat die Heiligenhauserin, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Orthopäden Dr. Carl Heinz Ullrich, den Verein gegründet, nachdem sie Kinderheime in der dortigen Region besucht hatte und zutiefst geschockt war. „Die Kinder lagen teilweise in ihren eigenen Fäkalien in ihren Bettchen, wurden darin auch noch gefüttert, alles war dreckig und dann diese kleinen Kinder, einfach ganz schlimm war das“. Dieses einschneidende Erlebnis führte dazu, dass für die damals junge Mutter eins klar war: Diese Kinder dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Mehrere Transportfahrten im Jahr
Was mit einigen Sachspenden und einer Vereinsgründung mit sieben Mitgliedern begann, entwickelte sich schnell zu einem Fulltime-Job und dabei mussten zuhause auch noch die drei eigenen Kinder versorgt werden. Aber die Heiligenhauser Bürger zeigten sich so spendenfreudig, dass regelmäßige LKW-Transporte in den rund 2200 Kilometer entfernten Ort mehrmals im Jahr zur Normalität wurden. Die Kosten dafür sind immens. Eine Fahrt kostet jedes Mal um die 3000 Euro. Dazu kommen mittlerweile noch Ausgaben zum Beispiel für Hallen, in denen die vielen Spenden- von Möbeln über Kleidung bis zu Haushaltsgeräten und Spielsachen - untergebracht werden müssen. „Dann haben wir mittlerweile ein zweites Projekt in einem Nachbardorf, dort werden die Kinder nach der Schule mit einer warmen Mahlzeit versorgt und bei den Hausaufgaben betreut. Dazu haben wir zwei junge Sozialarbeiter dort, die natürlich auch irgendwo leben müssen.“
Mit dem Tod von Alice Thormählen fehlen Spenden
All das kostet viel Geld, Geld, das künftig an wichtigen Stellen fehlen könnte: „Wir haben von Alice Thormählen aus ihrem Privatvermögen jährlich 40.000 Euro bekommen, einmal hat sie uns auch noch einen Bus geschenkt. Mit ihrem Tod im Frühjahr fehlt uns diese Spende natürlich sehr.“
Viele zeigen kein Verständnis
Trotzdem: Aufgeben ist keine Option, im Gegenteil. Die Not macht die Heilpraktikerin Petra Ullrich noch kreativer. „Ich bin jetzt vor kurzem 55 geworden und habe um Spendengelder gebeten, ich dachte mir ich möchte 5555 Euro zusammenbekommen und es waren insgesamt 12000, ich bin wirklich überwältigt über die Reaktion der Menschen.“ Denn eins weiß die gebürtige Mettmannerin. „Es gibt viele Menschen, die Probleme mit dem haben, was ich tue. Sie halten alle Rumänen für Verbrecher. Denen sage ich aber immer, es geht mir hier nur um die Kinder und darum, ihnen ein Fundament für ihre Zukunft zu bieten.“
Familien müssen Regeln einhalten
Und darauf achtet Petra Ullrich sehr genau: Die Familien, die Hilfe bekommen, in Form von Sach- oder Lebensmittelspenden, müssen nachweisen, dass sie ihr Haus in Ordnung halten, vor allem aber ihre Kinder regelmäßig in die Schule schicken. „Dies alles wird von unseren Sozialarbeitern vor Ort überprüft.“
Fahrräder sind besonders beliebt
Erst in der vergangenen Woche ist wieder ein LKW-Transporter nach Rumänien gefahren und bereits jetzt ist die kleine gelbe Hütte an der großen Lagerhalle in Heiligenhaus wieder voll mit Spenden. Darunter viele Fortbewegungsgeräte, ein Einrad, ein Waveboard, ein Roller. „Wir hatten unlängst jede Menge Fahrräder dabei, das war unglaublich, wie sie sich gefreut haben. Sie kommen ja auch sonst kaum weg aus ihrem Ort und nun sind viele von ihnen mobil. Diese glücklichen Gesichter muss man gesehen haben, da ist eine Stimmung wie auf einem kleinen Oktoberfest gewesen.“
Bundesverdienstkreuz für Petra Ullrich
Für ihr unermüdliches Engagement sollte Petra Ullrich in diesem Jahr das mit dem Bundesverdienstkreuz bekommen, bislang konnte es, aufgrund der Corona-Pandemie, noch nicht verliehen werden. Stolz darüber, so sagt sie, sei sie nicht. Allerdings: „Ich hoffe, dass ich mit dieser Auszeichnung noch mehr Firmen dazu bewegen kann uns zu unterstützen.“