Heiligenhaus. . Astreine Anekdoten: Zum Tag des Baums am 25. April führt Stadtförster Hannes Johannsen die WAZ zu ein paar ganz besonderen Exemplaren im Stadtgebiet.

Ihre Schale ist runzlig, der Kern hart und wenn sie könnten, hätten sie wohl viel zu erzählen. Bäume können viele hundert Jahre alt werden. Eigentlich – im Stadtgebiet finden sich jedoch kaum Senioren unter den grünen, derzeit noch vielerorts kahlen, Riesen. Die Gründe dafür liegen für Stadtförster Hannes Johannsen auf der Hand. „Die Gegend hier war früher wenig bewaldet“, sagt er und marschiert den schmalen Fußweg an der Abtskücher Straße entlang. Uralte Bäume finde man heute überwiegend in Schloss- und Stadtparks, doch die gibt es im Stadtgebiet nicht. Kaum ein Baum sei in Heiligenhaus deshalb so richtig alt geworden.

Das mag man kaum glauben, wenn man vor dem mächtigen Stamm der Esche steht, die ihre Äste am Domizil der Stadtwerke in den Himmel reckt. Moos klettert den Rumpf des Baumes hoch, der so dick ist, das der Stadtförster vor ihm wirkt wie eine Miniatur seiner selbst. Rund 1,20 misst der Durchmesser des Stamms und doch ist dieser Baum kein besonders betagtes Exemplar. „Nur weil er dick ist, muss es nicht unbedingt alt sein“, erklärt der Förster.

Elf Prozent sind bewaldet

Vor 100 Jahren waren maximal sechs bis sieben Prozent des Heiligenhauser Gebiets von Wald bewachsen. Inzwischen sind es immerhin rund elf Prozent. Obwohl man in Heiligenhaus vergeblich nach einer 1000-jährigen Eiche sucht, gibt es auch im Stadtgebiet einige schöne Exemplare. Eins davon streckt seine Wurzeln nur wenige Meter Luftlinie weiter in das Erdreich des so genannten Paradieses. Hannes Johannsen läuft zielstrebig den Fußweg am Eingang des Waldstücks hinter dem Heimatmuseum entlang und bleibt abrupt stehen. Ein kleines Stück unterhalb des Weges steht eine baumhohe Kindheitserinnerung: die Paradieseiche. 100 Jahre alt, 25 Meter hoch und für den Förster nicht nur ein ganz besonders schöner Baum, sondern einer, der ihn an längst vergangene Tage erinnert.

Zum Beispiel an die mit Moritz und Loki. In Johannsen Kindheit stand die Stieleiche nicht in einem dichten Wald, sondern noch inmitten einer Wiese. Die beiden schwarzen Ponys waren für ihn und seine Geschwister beliebtes Ausflugsziel. Mit Kinderwagen und Kinderschar machte sich Johannsens Mutter regelmäßig auf den Weg zu den Tieren, die stets auf der Weide an der Paradieseiche grasten. Inzwischen sind Wiese und Ponys Geschichte. Eine, die der in der Abtsküche aufgewachsene Förster mit seinen Erzählungen gerne lebendig hält.

Der Waldelfenkönig

Ein Stück weiter macht Johannsen wieder Halt und krakselt ein paar Meter den Hang hinauf. Was ihn hier so begeistert, sieht man – zumindest als Erwachsener – erst auf den zweiten Blick. Denn der Baum, der den Förster immer wieder anzieht, ist krumm und schief. Für die Holzindustrie ist diese Rotbuche wertlos, für die Kinder, die der Förster immer wieder auf Erkundungstour in den Wald führt, ist sein Wert unschätzbar. Um dieses Exemplar hat der Heiligenhauser Natur-Experte mit seinen kleinen Zuhörern nämlich die Geschichte des Waldelfenkönigs gesponnen. Den knorrigen Stamm, der dem Elfenkönig als Thron dient, umringen kleine Inseln aus blühendem Moos. Hannes Johannsen setzt sich einen Augenblick und genießt die laue Frühlingsstimmung im Paradies – zwitschernde Vögel inklusive.

Pädagogik in der Natur

Waldpädagogik gehört zu seinen schönsten und wichtigsten Aufgaben. Der Förster bringt Kita- und Schulkinder dorthin, wo seine eigene Liebe zur Natur geweckt wurde. „Was ich toll finde, bin ich auch bereit zu schützen“, erklärt er das einfache Prinzip. Toll finden die kleinen Waldbesucher nicht nur den Thron des Elfenkönigs, sondern auch den verwunschenen Prinzen, der in die Rinde eines anderen Paradies-Riesen gebannt ist.

Man muss eben nur mit Fantasie durch den Wald spazieren, dann hat er viel zu erzählen – auch ohne 1000-jährige Eiche.

Alte Bäume können zum Problem werden

Bäume durchleben Jugend-, Entwicklungs- und Alterungsphase. „Irgendwann ist der Baum ein Senior“, erklärt Förster Hannes Johannsen. Und wie der Mensch beginnt auch der Baum im Alter zu schwächeln, kann zum Pflegefall werden. Alte Bäume können hohl sein oder voller Totholz. Irgendwann wir dann die Verkehrssicherheit zum Problem. So wie bei der Major Oak in der Heiligenhauser Partnerstadt Mansfield etwa. Den rund 800 Jahre alten Riesen umgibt eine weiträumige Umzäunung. „Der Erhalt von alten Bäumen ist in dicht besiedelten Regionen ein Problem“, sagt der Förster. Wolle man diese alten Bäume erhalten, müsse man auch mit den Folgen leben können. Jede Kommune müsse sich aber ein paar Pflegefälle leisten können – findet der Förster.

Keine schwächelnden Bäume, dafür einen besonders schön bewachsenen Hang zeigt Johannsen im Paradies. Oberhalb der Fußbrücke über den Vogelsangbach. Dieses kleine Stück Naturwald bezeichnet der Förster als die „Heiligen Hallen“ der Stadt. Denn die hohen Stämme laufen an ihren Spitzen zusammen und bilden darunter eine Art Raum. Ein Stück Wald wie dieses, finde man nur sehr selten, ist er sich sicher. Und deshalb möchte er dieses Areal auch so lange wie möglich so erhalten wie es ist.

Ein kaiserlicher Baum am Nassenkamp

Ein schmucker Holzzaun, ein junger Baum und ein ernst drein blickender Mann. Eine historische Postkarte aus dem Stadtarchiv zeigt die Kaisereiche zum Nassenkamp. Aufgenommen wurde das Bild im Jahr 1910. Zu sehen ist darauf auch der Gedenkstein des Vaterländischen Landwehr- und Kriegervereins Tüschen und davor der Vorsitzende, Friedrich Scharrenberg, nebst Vereinsfahne. Die Eiche, ein Geschenk von Kaiser Wilhelm II, wurde am 28. Januar am Nassenkamp in die Erde gesetzt. Der Stein neben dem Baum erinnert an die Begebenheit. „Stehet fest wie Eichen!“, steht dort geschrieben. Und dass der Baum an die ereignisvolle deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts erinnern soll. Am 2. Februar 1912 erregt ein kleines Ereignis große Aufmerksamkeit: „Kürzlich wurde von Bubenhand an der Kaisereiche die Spitze abgebrochen“, ist im Stadtarchiv festgehalten. Der Baum sei nun wertlos geworden, heißt es dort weiter. Um den Täter zu ermitteln, setzte die Polizeiverwaltung eine Belohnung aus: 100 Mark. Später wurde sie auf 300 Mark erhöht. Ob der böse Bube gefunden werden konnte, ist in den Unterlagen nicht mehr vermerkt. Sechs Jahre nach dem Streich fällt man die Eiche. Die Mitglieder des Geschichtsvereins stellten die Gedenkstelle 2008 wieder her.