Zwönitz / Heiligenhaus. . Die Partnerstadt im Erzgebirge hat einiges zu bieten: Urige Räuchermännchen, verschachtelte Fachwerkhäuser, quietschende Nachtwächterlaternen und einen blauen Halsbandsittich.

Die Masse macht’s. Während nur ein sakraler Prachtbau die Straßen von Meaux überragt, recken sich in und um Zwönitz gleich neun kugelige Zwiebeltürme in die Höhe. Obwohl einige der Bauwerke glatt an den britischen Beton-„Brutalismus“ aus Basildon angelehnt sein könnten, entstammen sie doch den barocken Bauvorstellungen der frühen Baumeister.

Mit rund 12 000 Einwohnern ist Zwönitz, gemessen an seinen Partnerstädten, puppenstubenhaft klein. Im Größenvergleich der Erzgebirgs-Ortschaften zählt Zwönitz, knapp 30 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, allerdings zu den Zentren.

Urige Räuchermännchen, verschachtelte Fachwerkhäuser, quietschende Nachtwächterlaternen, ein blauer Halsbandsittich : Moment mal – das Erzgebirge zählt nicht gerade zum natürlichen Habitat der knallbunten Papageien-Spezies. Und doch finden ihn aufmerksame Ornithologen an jeder Ecke im Stadtgebiet.

Mit hocherhobenen Schnabel thront der gefiederte Kamerad auf dem Zwönitzer Stadtwappen.Die Geschichte des Sittichs geht auf das Zisterzienserkloster Grünhain zurück. Bei dessen Gründung nahmen die Mönche den zweidimensionalen Kerl einfach aus dem Mutterkloster Sittichenbach mit ins Erzgebirge. Beim dortigen Wappen ist der Name Programm: es zeigt seit 1362 ein Vogelpaar.

Nicht nur der afrikanische Sittich kann in Zwönitz auf eine lange Tradition zurückblicken. Auch die Stollen, Schächte und Schienensysteme unter der Region sind tief in der Geschichte der Stadt verankert. Schon vor dem zwölften Jahrhundert fuhren Bergmänner mit Helm und Hacke ein. Die Kumpel förderten Eisenerz zu Tage, das direkt im Zwönitzer Eisenhammer eingeschmolzen und weiter verarbeitet wurde. Heute hängen die Bergmannsklüfte am Haken. Die Communen-Zeche „Segen Gottes“ wird nur noch von Fledermäusen heimgesucht, während die reich verzierten Mundlöcher der stillgelegten Stollen im Stadtgebiet ein beliebtes Fotomotiv abgeben.

Deutschlands älteste Papiermühle

Die alte Zwönitzer Papiermühle hingegen steht noch unter Strom. PS-starke Motoren treiben im inneren des imposanten Fachwerkhauses Kugelkocher, Kollergang und Holländer an. Mit über 400 Jahren ist sie die älteste noch funktionstüchtige Papiermühle in Deutschland. Sie beheimatet nicht nur ein Museum, sondern auch Kunst. Die Zwönitzer Malerin Antje Henkel hätte für ihr Atelier keinen geschichtsträchtigeren Ort finden können. Zu ihren Markenzeichen zählen Zwönitzer Stadtansichten im Schubladenformat.

Ein trauriges Kapitel in der Stadtgeschichte schrieb der Zweite Weltkrieg. Die Stollberger Bürgerin Gerta Uhlig bezahlte das Hissen der weißen Fahne mit ihrem Leben. SS-Männer erschossen die mutige Frau an der Zwönitzer Landstraße. Heute erinnert an dieser Stelle ein Denkmal an den Schritt zum Frieden.

Zwönitz mag zwar die kleinste Partnerstadt sein, dafür verhält es sich mit dem Erzgebirgs-Städtchen wie mit einem Eisberg. Nur die Spitze befindet sich über der Oberfläche. Der Rest offenbart sich dem Betrachter, erst wenn er einen Gang in die Tiefe wagt.

Nachtwächter führen nun Touristen

So strahlend blau wie das Federkleid des Halsbandsittichs auf dem Stadtwappen, so blau sind auch die Uniformen der Zwönitzer Nachtwächter. Mit Laternen leuchten sie des nachts neugierigen Touristen den Weg durch die Gassen der Städtchens. Ursprünglich sollten die Nachtwächter ihre Augen nach lodernden Flammen aufhalten, während die Zwönitzer seelenruhig schliefen.

Ein verheerender Brand hatte am 21. Mai 1687 fast die gesamte Stadt zerstört. 143 Bürgerhäuser, einige Bauernhöfe, sowie Gebäude des öffentlichen Lebens fielen den Flammen zum Opfer. Danach entschloss sich der Rat, einen Stadtwächter mit festen Pflichten zu vereidigen.Fortan drehte dieser jeden Abend von 21 Uhr bis 3 Uhr morgens seine Runden durch die Stadt. An 19 verschiedenen Stellen hatte der Stadtwächter zudem die Uhrzeit auszurufen.

Zu seinen Pflichten gehörten neben dem vorbeugenden Brandschutz die Durchsetzung von Ruhe und Ordnung sowie die Aufsicht über die „Sprung- und Lust-Stuben“. 1872 bekam der Herr im blauen Mantel eine neue Berufsbezeichnung. Als Nachtpolizeidiener stiefelte er weiterhin uniformiert durch Zwönitz.

Danach wurde es lange Zeit ruhig in Zwönitz’ Gassen. Lange waren die Nachtwächter stumm, bis diese Tradition im Oktober 1997 schließlich wiederbelebt wurde. Für Recht und Ordnung müssen sie heute jedoch nicht mehr sorgen, sondern sollen den Tourismus ankurbeln. Nicht nur im Erzgebirge sorgen Laternenträger für neugierige Blicke, auch die Heiligenhauser schätzen diese Tradition. Schon oft waren Nachtwächter auch hier unterwegs.