Seit Monaten wird über Standorte und Baukörper diskutiert, über Wohnumfeld und Stadtentwicklung. Jetzt hat sich der Sozialdezernent zu Wort gemeldet im Wettrennen zweier Investoren um den geplanten Bau eines Altenpflegeheims in Winz-Baak. Und Andreas Bomheuer, er sagt nein zu dem Projekt.

Er trägt die Sicht der Pflegeberatung des Ennepe-Ruhr-Kreises mit, die zu dem Schluss kommt: „Hattingen ist mit Heimplätzen hervorragend versorgt.” Was dringend benötigt werde, und auch da sind Bomheuer und EN-Kreis einer Meinung: weitere Plätze für betreutes Wohnen.

Was Hattingen an Heimplätzen hat und haben wird, listet Bomheuer in einer Vorlage für die Fachausschüsse auf, die am 19. Mai tagen: 111 Plätze im Altenheim St. Josef, 116 im Haus der Diakonie, 70 im Martin-Luther-Haus, 102 im Emmy-Kruppke-Zentrum, 83 im Haus St. Mauritius. 71 weitere Plätze stehen bald im Heidehof in Niederwenigern zur Verfügung. Macht zusammen: 553.

Ambulant vor stationär

Bei Anwendung aller vorliegenden Statistiken und Prognosen, auch mit Blick auf den demografischen Wandel, geht die Stadt Hattingen von einem Bedarf von 523 Heimplätzen im Jahr 2015 aus. Konsequenz: Mit dem Heidehof bestehe schon jetzt eine Überkapazität. Und: In anderen Heimen im EN-Kreis oder in Bochum-Linden seien noch reichlich freie Plätze vorhanden.

Neben der Kapazitätsfrage führt Bomheuer zwei weitere Argumente ins Feld. So den gesetzlich verankerten Grundsatz „ambulant vor stationär”. Warum mehr betreute Wohngemeinschaften und weniger vollzeitstationäre Pflege das Gebot der Stunde seien, macht der Sozialdezernent an einem Beispiel deutlich: „Ein Ehepaar, zehn Jahre Altersunterschied, einer von beiden dement, wird in der Vollzeitpflege getrennt und weggesperrt, beim betreuten Wohnen hingegen gemeinsam betreut und gepflegt.”

Wo Geld verdient wird

Schließlich, so Sozialdezernent und EN-Kreis ebenfalls übereinstimmend, zahle jedermann bei Vollzeitpflege drauf. 30 Prozent der Hattinger Altenheimbewohner beziehen Sozialhilfe, die der Kreis zahlt. Bei jedem neuen Heim mit 80 Plätzen kommen 24 Sozialhilfefälle neu hinzu – neue Plätze, steigende Nachfrage also.

Nicht ohne Grund, so Bomheuer, wollten beide Investoren in Winz-Baak vor allem Pflegeplätze schaffen, betreutes Wohnen dagegen später oder vielleicht gar nicht. Aus finanzieller Sicht sei dies verständlich. Andreas Bomheuer: „Die Branche weiß – mit Pflegeplätzen wird das Geld verdient, von dem dann später vielleicht etwas für betreutes Wohnen abfällt.” Die Menschen in Hattingen bräuchten es aber genau andersherum: viel mehr alternative Wohnformen, die viele unterschiedliche Bedürfnisse erfüllen und Wohn- und Pflegekonzepte miteinander verbinden.

KOMMENTAR

Spät, aber noch früh genug wird nun die Grundsatzfrage gestellt zu den Neubauplänen für ein Altenpflegeheim in Winz-Baak. Und beantwortet: Wir brauchen keins.

Was städtebaulich kein Problem wäre (beide Konzepte sind genehmigungsfähig), ist logistisch bedenklich (Überversorgung). Paradox klingt das: Ja, wir werden älter; nein, weitere Pflegeheime sind nicht nötig.

Unabhängig vom Vertrauen in Statistiken und Prognosen nachvollziehbar ist: Auf immer vielfältigere Anforderungen müssen wir immer flexibler reagieren, um den Menschen gerecht zu werden. Betreutes Wohnen wird gebraucht. In vielen Formen. In der Südstadt etwa macht es die HWG vor, die mit dem Verein „wir leben zusammen” ein Mehr-Generationen-Haus baut.

In Winz-Baak ist jetzt die Politik am Zug. Und muss abwägen. Nicht nur, ob man Investoren verschreckt oder den Steuerzahler ärgert. Gerade in einem Wahljahr werden die Winz-Baaker fragen: Warum hat Niederwenigern zwei Altenheime und wir bekommen keines? Denn auch das ist ja richtig: Vielen zu ermöglichen, in ihrem Stadtteil alt zu werden, ist gute Sozialpolitik.