Hattingen. . Per Mertesackers Patzigkeit nach dem WM-Spiel war nicht in Ordnung, findet Peter Kursinski. Aber erklärbar, sagen Jill Deimel und Heinrich Obberg.
„Was uns provoziert, ist in uns selbst vorhanden“, sagt Jill Deimel, psychologischer Berater. Und so sei auch nicht die kritische Frage des Reporters an Per Mertesacker nach dem Deutschland-Algerien-Fußball-WM-Spiel das Problem gewesen – sondern Per Mertesackers Selbstwahrnehmung. Seine Antwort war wütend ausgefallen.
„Er hat selbst gemerkt, dass das Spiel nicht gut gelaufen ist, hatte ein schlechtes Gewissen.“ Und jeder reagiere eben auf einen Satz anders. Beispiel: Zehn Leute stehen in einer Reihe. Werden sie gebeten, ein Fenster zu schließen, so ist einer vielleicht sauer und fragt sich, warum er immer der Blödmann ist, der alles machen muss. Ein anderer denkt logisch, dass er dem Fenster am nächsten sitzt, ein dritter denkt vielleicht gar nicht darüber nach und macht es einfach zu.
Philipp Lahm habe eben auch ganz anders reagiert und im Interview zugegeben, dass Fehler gemacht worden seien. Aber er habe darüber hinaus gesagt, dass man gekämpft habe – und immerhin weiter sei. „Daran sieht man, wie unterschiedlich Menschen mit so etwas umgehen. Man kann einer Sache eine Richtung geben – unabhängig von der Frage.“
Unzufriedenheit projiziert
Mertesacker sei schlicht mit der eigenen Leistung unzufrieden gewesen. Diese eigene Unzufriedenheit habe er dann auf den Reporter projiziert. „Zwischendurch hat er sich ja mal gefangen, als der Reporter ihn noch einmal zum Weiterkommen beglückwünscht hat“, so Deimel. In seiner „Agentur für Körper und Geist Mind Style“ stellt er immer wieder fest, dass Menschen zumeist auf den Mangel konzentriert sind, statt sich über Positives zu freuen. „Darum geht es vielen so schlecht. Außerdem haben viele noch nicht verstanden, dass es eine Stärke ist, Schwächen zuzugeben – und keine Schwäche.“
Die kritische Frage des Reporters fand Peter Kursinski, Ex-Trainer von Hedefspor, berechtigt, Mertesackers Antwort arrogant und patzig. Auch wenn Kursinski aus eigener Erfahrung weiß, dass es nicht leicht ist, so kurz nach einem solchen Spiel etwas zu sagen. „Aber er wird gut bezahlt, Pressearbeit gehört zu seinem Job dazu. Man hat gemerkt, dass er selbst unzufrieden war. Aber da muss man sich anders geben. Das war nicht in Ordnung.“ Kursinski bemängelt, dass Fragen der Journalisten oft seidenweich seien. „Man sieht doch, wenn ein Spiel schlecht war. Das muss man aussprechen können.“
Kein Büßerhemd nötig
Anders sieht das Heinrich Obberg, Fachpsychologe für Verhaltenstherapie. „Man hätte nicht nach dem Canossa-Büßerhemd fragen sollen. Ich konnte zustimmen, dass Mertesacker nicht mea culpa sagte. Ich hätte mir einen verzeihlicheren Umgang gewünscht, weniger Druck, denn der erzeugt nur noch mehr Fehler. In Deutschland wird oft geglaubt, dass wir mit einer Sozialstrafe zu mehr Erfolg kommen. Man kann aus Fehlern lernen. Ich bin zuversichtlich, was die Mannschaft angeht.“