Hattingen. . Das Gymnasium Waldstraße hatte am 14. März 1914 als „Realgymnasium“ seine Geburtsstunde. Es wurde mehrfach umbenannt und ist umgezogen.
„Wahrhaft menschenwürdige Schätze sind es, die hier in Ihrer Schule zu sammeln Ihnen die Gelegenheit geboten war.“ In für die heutige Zeit pathetisch-schwülstig anmutenden Worten entließ Direktor Dr. Heinrich Watenphul Hattingens erste Abiturientia am 28. März 1914 ins Leben. Nicht indes, ohne die Absolventen des städtischen Realgymnasiums an ihre „Pflicht der Dankbarkeit“ zu erinnern, ihrer Schule die Treue zu halten; und dem Vaterland. Nur wenige Monate später brach der 1. Weltkrieg aus, forderte in Reihen der Lehrer und Schüler des Realgymnasiums bald die ersten Opfer . . .
Nicht nur da spiegelten sich in der Geschichte des Gymnasiums Waldstraße – damals noch eine reine Jungenschule – einschneidende Momente der Weltgeschichte des vergangenen Jahrhunderts wider.
Chemieunterricht auf der „Hütte“
Hattingens älteste weiterführende Schule – als deren „Geburtsstunde“ der 14. März 1914 gilt, der Tag, an dem der preußische Minister „für geistliche und Unterrichtsangelegenheiten“ die damalige Stadtschule zum Realgymnasium erhob – hatte ihren Sitz in den Anfangsjahren an der Bismarckstraße.
Das Gebäude dort indes mussten Lehrer und Schüler im März 1923 räumen – auf Befehl der Franzosen, die damals das Ruhrgebiet besetzt hielten, weil Deutschland seinen Reparationszahlungen für den verlorenen Krieg nicht nachkommen konnte. Während sich an der Bismarckstraße, in der „Caserne Calvet“, französische Soldaten einquartierten, wurden die Schüler des Realgymnasiums auf mehrere Gebäude in der Stadt verteilt, Chemieunterricht fand in Laboratorien der Henrichshütte statt. Erst am 29. Juli 1925, nach Abzug der Franzosen, konnten sie das ursprünglich als ev. Lehrerseminar erbaute, 1914 fertiggestellte Gebäude an der Waldstraße beziehen. Noch heute wird es genutzt. Dass der renovierte Altbau (1973 um den Neubau erweitert) einmal „Adolf-Hitler-Realgymnasium“ hieß, gehört dabei zur Historie der Schule, mit der diese so offen wie verantwortungsbewusst umgeht.
Die damalige Umbenennung der Hattinger Stadtvertretung erfolgte bereits zu Beginn der NS-Diktatur – am 12. Oktober 1933. Ab April 1934 dann begann jede Stunde mit dem Hitlergruß, stand „Rassenkunde“ auf dem Lehrplan, in Kunst wurden Bilder des Führers gemalt.
Umzug zur Bismarckstraße
Doch das Gebäude an der Waldstraße war in der Zeit des Terror-Regimes nicht allein Schulstandort. Von 1935 bis 1942 war dort die SA-Wachstandarte untergebracht, 1944/45 nutzte die Hitlerjugend es als Wehrertüchtigungslager. So zog die Jungenschule – 1937 erneut umbenannt, nun in „Adolf-Hitler-Oberschule“ – zwischenzeitlich wieder zur Bismarckstraße. In den letzten Kriegsmonaten 1945 allerdings wurde der Unterricht wegen der ständigen Bombenangriffe, der näher rückenden Front ganz eingestellt – und erst neun Monate nach Kriegsende am 19. Februar 1946 im nur wenig zerstörten Gebäude an der Waldstraße wieder aufgenommen. Auch für das Mädchengymnasium (die Koedukation wurde dennoch erst 1972 eingeführt).
Längst Geschichte ist all’ dies; und zugegebenermaßen ereignete sich in den 100 Jahren des Gymnasium Waldstraße weit mehr: das aus für Aufnahmeprüfungen für Fünftklässler etwa (1965); der breite Protest gegen den Schulentwicklungsplan, der für die Waldstraße eine Verkleinerung auf drei Züge in den Eingangsklassen, zwei im Abi-Bereich vorsah (1985); der Anschluss des Gymnasiums ans Internet (1996); die Umsetzung ständig neuer Schulreformen . . .
Dass sich Weltgeschichte indes derart einschneidend auf die eigene Geschichte auswirkt wie in den ersten Jahrzehnten seit ihrer „Geburtsstunde“, das hat Hattingens älteste weiterführende Schule später nicht mehr erlebt. Ein Glück.