Hattingen. In den Bodennächten befürchtet Helmut Kalsbach, im Luftschutzkeller verschüttet zu werden. Sein Bruder musste mit einer Trage transportiert werden.

Wir Kinder sind bei Voralarm oft zum Hochbunker am alten Busbahnhof gegangen. Man konnte darin so wunderbar spielen. Nur in die unterste Etage des Bunkers durften wir nicht, da sich dort die Mütter mit den kleinen Kindern und den Babys aufhielten. Wenn wir uns in der Schule befanden und es Alarm gab, mussten wir auf den Schulhof und uns klassenweise aufstellen. Es ging dann geschlossen zum Luftschutzbunker an der Friedrichstraße bei der Feuerwehr.

Wir, meine Eltern und Geschwister, wohnten im Haus am Steinhagen 3, das unser Eigentum war. In dem Haus befand sich auch unser Lebensmittelgeschäft. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ließ mein Vater in weiser Voraussicht einen Kellerraum mit viel Beton zum Luftschutzraum ausbauen.

Je mehr sich das Kriegsende näherte, umso öfter haben wir den LSR (Luftschutzraum) aufsuchen müssen und sind oft noch nach der Entwarnung sitzen geblieben und haben den Erzählungen der Alten gelauscht. In den letzten Jahren war mein Bruder Walter erkrankt und musste bei Alarm mit einer Trage in den Keller gebracht werden.

So kam es am 14. März 1945 zu einer akuten Luftgefahr für Hattingen und das hieß: ab in den Keller. Das Geschäft wurde geschlossen, Walter wurde auf die Trage gelegt und hinunter getragen. Als die Flugzeuge schon zu sehen waren und die ersten Bomben fielen, kamen aus der Nachbarschaft noch einige gelaufen und wollten in den LSR. Dieser war aber schon rappelvoll, und so mussten die Nachzügler mit dem Hauskeller mit seinen gewölbten Decken vorlieb nehmen.

Ich saß im LSR auf einer Holzbank, die mit Streusand zur Brandbekämpfung gefüllt war. Als ich die Bomben explodieren hörte, kam bei mir die Angst auf, dass ein Treffer das Haus zerstören könnte und der ganze Schutt die Kellerausgänge verschütten würde, und wir ersticken müssten. Der Notausgang war zwischen den Häusern Steinhagen 1 und 3 errichtet worden. Zwischen diesen beiden Häusern betrug der Abstand gerade einen Meter, und der Notausgang wäre bei einem Bombentreffer mit Sicherheit verschüttet worden. Das Licht war schon bei den ersten Einschlägen erloschen, die ersten Kerzen wurden angezündet. Die einen weinten, andere beteten, einer sprach beruhigend auf uns ein. Die meisten waren wie auch ich stille und sagten nichts. Irgendwann war alles vorbei. Unser Haus war verschont geblieben.

Wir Kinder sind sofort nach dem Angriff losgezogen und haben uns die Trümmer zerstörter Häuser angesehen. Es kann noch am gleichen Tag, spätestens am nächsten Tag gewesen sein, dass wir Kinder und meine Mutter nach Niederwenigern zum Opa gebracht worden sind. Dort blieben wir bis zum Kriegsende.

An einem sonnigen Tag konnten wir von Niederwenigern aus sehen, wie in Linden die Kirche getroffen wurde. Ein andermal spielten wir Kinder vor dem Haus. Walter lag auf der Trage, und Opa arbeitete im Garten, als grauenhafte Heultöne über uns hinweg brausten. Es waren Geschosse von Granatwerfern. Wir sausten in großer Angst auf allen Vieren ins Haus. Keiner hat sich um meinen Bruder gekümmert, der noch draußen lag. Nachher hat er zu uns gesagt, dass er keine Angst gehabt hätte, da Opa im Garten einen Fuß auf den Spaten gestellt ruhig in den Himmel geschaut hätte. Ich habe mich für meine Angst geschämt und dabei festgestellt, dass man bei Gefahr immer erst an sich denkt.