Hattingen. . 1853 erwirbt Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode das Rittergut „Haus Bruch“ für den Bau eines Hüttenwerkes. Das verändert die Kleinst-Bauerschaft, die noch im Jahre 1831 gerade einmal 247 Menschen zählte, rasant. Welper wuchs sprunghaft.

Der 29. Oktober 1853 ist ein be­deutender Tag für Welper, doch das ahnen die Bewohner der sehr ­kleinen Bauerschaft damals vermutlich nicht. Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode kauft an jenem Samstag vom Rittergut „Haus Bruch“ die ersten 76 Morgen Land; er will darauf ein Hüttenwerk errichten.

Und die nach dem Grafen benannte Henrichshütte, die bereits eineinhalb Jahre später ihren Betrieb aufnimmt und seither stetig ausgebaut wird: Sie verändert Welper rasant. „Binnen nur weniger Jahrzehnte“, sagt Stadtarchivar Thomas Weiß, „ging die Einwohnerzahl steil nach oben“. Lebten in Welper (was so viel wie „fließendes Gewässer“ heißt) noch im Jahre 1831 gerade einmal 247 Menschen, so waren es 50 Jahre später bereits gut 1800, die hier ihr Zuhause hatten. 1925 war Welpers Einwohnerzahl gar auf 6000 Menschen angewachsen.

Zahlreiche Siedlungen entstehen

Und die zahlreichen Neu-Welperaner benötigten ein Dach über dem Kopf. Im Lohfeld und auf dem Haidchen, in unmittelbarer Nähe der Hochöfen, wurden Mehrfamilienhäuser für Werksangehörige errichtet, mit den „Harzer Häusern“ an der Henschelstraße eine der ersten Arbeiterkolonien geschaffen. Diese sollten den zahlreichen aus dem Harz, Zentrum des Erzbergbaus, angeworbenen Facharbeitern „ein bischen Heimatfeeling geben“, so Weiß. Ähnel(t)en die Fassaden der heute unter Denkmalschutz stehenden Siedlung doch der Architektur des Harzes.

Bei der Konzeption der Gartenstadt Hüttenau stand derweil das „gesunde Wohnen im Grünen“ auch für untere Schichten im Vordergrund: Jeder sollte in der vom Essener Architekten Prof. Georg Metzendorf nach Ideen des Briten Sir Ebenezer Howard entworfenen Siedlung sein eigenes kleines Gärtchen und fließend warmes Wasser haben. „Für die damalige Zeit war das echter Luxus“, erklärt Weiß.

Was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf das Lebensgefühl hatte, wie der Stadtarchivar betont: Noch in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts hätten die Bewohner von Welper „sehr genau unterschieden, ob jemand etwa im Haidchen oder in Hüttenau wohnte“.

Was die zunehmend größer werdende Industriegemeinde indes zusammenhielt und bis heute zusammenhält, sei, so Weiß, die Hütte. Erst durch sie hat sich das Erscheinungsbild Welpers stark gewandelt: durch den Bau des ersten Krankenhauses der Region, das 26 Betten große Hüttenkrankenhaus (1866/67). Durch die Errichtung von Schulen, Straßen, eines Kommunalfriedhofes (1921), des Gemeindeamtes (1928). Zudem prägte die Henrichshütte als ein Zentrum der deutschen Schwerindustrie bei den Welperanern „ein besonderes Hochgefühl“.

Dies machte sich unter anderem auch bemerkbar, als in den 1960er Jahren die Eingemeindung nach Hattingen drohte. „Dahin wollte man nicht“, verrät Weiß. Doch selbst die Bildung der neuen, rund 17 000 Einwohner großen Stadt Blankenstein am 1. April 1966 – bestehend aus den Gemeinden Blankenstein, Buchholz, Holthausen und dem mittlerweile auf gut 10 000 Einwohner angewachsenen Welper – konnte die Eingliederung 1970 nicht abwenden.

Allerdings: Spätestens, als rund zehn Jahre darauf der Niedergang der Schwerindustrie einsetzte, in deren Folge Ende 1987 der letzte Hochofen auf der Henrichshütte erlosch, habe sich gezeigt, wie wichtig diese kommunale Neugliederung auch für Welper gewesen sei, betont Thomas Weiß. Gerade im Ruhrgebiet hätten „Gemeinden mit 20- bis 30 000 Einwohnern sonst keine Überlebenschance gehabt. Als eigenständige Stadt stünde Welper heute eher schlecht da“.

Ein neues Flussbett für die Ruhr

„Da kann man mal sehen, welche Macht die Hütte hatte“, sagt Stadtarchivar Thomas Weiß über die Verlegung der Ruhr im Jahre 1959.

„Schon vor dem Weltkrieg“, schreibt er dabei in seiner Hattingen-Chronik, habe man auf der Henrichshütte erkannt, dass infolge der steigenden Nachfrage nach Ruhrstahl ein Ausbau des Betriebsgeländes dringend erforderlich sei. Der Kriegsbeginn indes vereitelte zunächst diese Pläne. Und nach dessen Ende gab die Militärregierung im Oktober 1947 eine Demontage-Liste bekannt, nach der auch die Hochöfen der Henrichs-hütte demontiert werden sollten.

Doch im Jahre 1959 wurde die Ruhrverlegung schließlich tatsächlich in Angriff genommen. „Die Gegebenheiten des umliegenden Geländes“, so Weiß in seiner Hattingen-Chronik, „ließen eine Werkserweiterung dabei lediglich in Richtung Ruhr zu“. Und das machte die Schaffung eines neuen Flussbettes unumgänglich.

Vom Schepmannschen Hof bis zur Hattinger Ruhrbrücke wurde das neue Ruhrbett ab Mai 1959 ausgebaggert. 64 000 m3 Erde und 65 000 m3 Felsen, so Weiß, wurden dafür abgebaut. Der alte Ruhrbogen wurde zugeschüttet. Am 1. November 1959 floss die Ruhr schließlich erstmals durch ihr neues Bett. Auf dem um rund 500 000 m2 auf rund 1 630 000 m2 angewachsenen Werksgelände wurde unter anderem eine Sinteranlage errichtet.

Und heute? Nun: Nach dem Aus der Hütte ist das Wasser wieder an seinen alten Platz zurückgekehrt – wenngleich auch nur in Form einiger kleinerer Teiche.