Hattingen. Im Elternkreis suchtgefährdeter und suchtkranker Jugendlicher lernen Angehörige loszulassen. Der Austausch miteinander hilft.
Es sind nur wenige Stufen hinauf bis zur Tür am Seiteneingang des Café Sprungbrett. Doch diese paar Stufen das erste Mal hinter sich zu bringen, fällt den meisten Menschen, die zum Elternkreis drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher stoßen, so schwer, als würden sie einen Mehrtausender erklimmen. Weil sie sich und anderen damit eingestehen, dass nicht irgendein Fremder, sondern das eigene Kind drogensüchtig ist. Und dass sie selbst Hilfe brauchen, um daran nicht kaputt zu gehen.
Marianne Zetzsche (73) kennt derlei Schwellenängste aus eigener Erfahrung: Ihr Sohn war in jungen Jahren suchtkrank (mittlerweile ist er seit Jahrzehnten clean). Neueinsteigern in die Gruppe empfiehlt die Leiterin des Elternkreises deshalb vor dem Erstbesuch eine telefonische Kontaktaufnahme; auf Wunsch holt sie Betroffene beim ersten Zusammentreffen mit der Gruppe auch persönlich an der Eingangstür ab. Und sie betont: Niemand müsse befürchten, dass in diesem Elternkreis „den ganzen Abend über geweint wird“. Es gehe bei den Zusammenkünften vielmehr darum, sich miteinander auszutauschen über das, was die Sucht des Kindes für Folgen für das eigene Leben habe; und für das der Familie.
Die neun Frauen, die an diesem Abend im Café Sprungbrett zusammensitzen (Männer finden bislang nur selten den Weg in diese Selbsthilfegruppe), haben das alle bereits intensivst erfahren. Anne, deren heute 27-jährige Tochter immer mehr in die Sucht abrutschte. Sie als Mutter versuchte verzweifelt, dagegen anzukämpfen. Ruth, die lange Zeit nicht wahrhaben wollte, dass einer ihrer Söhne heroinabhängig war, sie belog und beklaute – bis ihr älterer Sohn diesen irgendwann vor die Tür setzte. Oder Ingrid, deren zwei inzwischen erwachsene Söhne bis heute unter den Folgen ihres exzessiven Cannabis-Konsums leiden: Der ältere hat eine Psychose; der jüngere ist völlig antriebslos, hat noch nie eine Ausbildung absolviert.
Dass Eltern im Kampf gegen die Droge(n) machtlos sind und sie ihr süchtiges Kind loslassen müssen: Alle Elternkreis-Mitglieder haben dies erst mühsam erlernen müssen. Zwar gebe es hierfür kein Patentrezept, betont Marianne Zetzsche, „wir geben einander auch keine Ratschläge“. Doch im Austausch mit anderen Betroffenen erfahre man, dass Drogensucht in jeder Familie vorkommen könne – auch dann, wenn die Kinder einem das Wichtigste im Leben sind.
Dass zumindest einige ihrer einst von Amphetamin, Kokain und sonstigen Drogen abhängigen Töchter und Söhne inzwischen wieder herausgefunden haben aus der Sucht, sei für alle Betroffenen „das größte Glück“, betont Marianne Zetzsche. Die Angst vor Rückfällen indes bleibt bei vielen bestehen. „Wir Eltern“, so Zetzsche, „üben uns immer darin, die Droge keine Macht über unser Leben gewinnen zu lassen.“ – Jeden Mittwoch wieder aufs Neue.