Hattingen. . 365 Tage im Jahr verbringt Martin Reimelt bei seiner Schafherde. Seit Mai arbeiten die Schafe am Kemnader See, um die gefährlichen Herkulesstauden zu vernichten.
Man hört sie, bevor man sie sieht. Und das erste, was man dann von ihnen sieht, ist eine Staubwolke.
Hinter dem Freizeitbad Heveney am Kemnader Stausee wird schwer gearbeitet: 700 Schafe machen einem Wald von Herkulesstauden im Städte-Dreieck Bochum-Hattingen-Witten den Garaus. Sie treten gegen die Pflanzen, springen sie an, reißen sie um und kauen genüsslich auf ihnen herum. Am Rande des dicht gedrängten Kreises wolliger Schafsleiber sprintet Hütehund Paula und beaufsichtigt die Arbeit. Bricht irgendwo ein Schaf aus, ist Paula innerhalb von Sekunden bei ihm, um es zur Ordnung zu mahnen. Ihr Kollege Blacky sieht dem Treiben distanziert zu und schreitet nur auf Kommando ein.
Schäfer Martin Reimelt (41) kann sich auf seine Hunde verlassen – sie sind sehr gewissenhaft, wenn es um ihren Job geht. Seit sieben Uhr früh sind sie im Dienst, ebenso wie Reimelt und seine mähenden Landschaftsgärtner. Die Herkulesstauden, die bei Menschen Hautverätzungen hervorrufen können, haben den Schafen nichts entgegen zu setzen, obwohl sie locker dreimal so hoch sind wie die Tiere. Wenn die Schafe mit ihnen fertig sind, werden nur noch ein paar nackte Stängel übrig sein.
Jetzt, um halb elf, geht es in die Mittagspause: Reimelt pfeift und ruft laut „Rrrrrr“, schickt dann noch ein kurzes „Paula“ hinterher, und schon flitzt die Hündin wieder los.
Langsam setzt sich die Herde in Bewegung und marschiert Richtung Wasser. Einen Fuß- und einen Fahrradweg müssen die Tiere überqueren. Spaziergänger und Radfahrer halten an und gucken, zücken ihre Smartphones, um ein Foto zu machen, und gucken weiter. „Die Leute denken immer ,wie romantisch ist dieses Schäferdasein’, aber von Romantik ist nicht mehr viel übrig“, sagt Reimelt. Auch die Schäfer seien moderner geworden: „Es gibt immer weniger Flächen, immer weniger Triebwege und immer weniger Geld für das Fleisch.“
Weihnachten mit den Schafen
Trotzdem umweht Reimelt ein Hauch Nostalgie: 365 Tage im Jahr verbringt er mit den Schafen. Auch Weihnachten? „Auch Weihnachten und andere Feiertage.“ Gibt es keinen Urlaub? „Naja, jetzt im Sommer, da ist es ja fast wie im Urlaub.“
Schon als kleiner Junge ist Martin Reimelt gern bei den Schäfern mitgegangen, später wurde er Gärtner und entschied sich vor knapp 20 Jahren dann doch für die Schafe und die Abgeschiedenheit. Wobei: „Mittlerweile habe ich eine Lebensgefährtin, die sich an meinen Beruf gewöhnt hat.“
Eigentlich führe er ein ruhiges Leben, sagt Reimelt, „wir sind mal hier, mal da – immer dort, wo das Futter ist.“ Wenn er die Herde über Kreuzungen und Hauptstraßen zu anderen Weideflächen treibt, kommt Bewegung in das ruhige Dasein. „Da erlebt man auch schon mal, dass einer am Meckern ist – da muss man dann einfach weitergehen.“ Sechs bis sieben Stunden braucht Reimelt mit seinen 700 Schafen und zwei Hunden, um von Bochum-Dahlhausen nach Essen-Kettwig zu marschieren. Doch jetzt ist Pause – „da sind die Schafe wie Menschen“, und auch die beiden Hütehunde nehmen sich eine Auszeit, um ein bisschen im See zu schwimmen. Aber nur bis zum nächsten „Paula!“.