Hattingen. Heimatfreund Gerhard Wojahn erinnert an die Jahre der Flussbadeanstalt Stolle. Hier konnte die Frei- und Fahrtenschwimmerprüfung abgelegt werden.
Julius Stolle sen. verwirklichte im Jahr 1898 seine fortschrittliche Idee, an der Ruhr eine Badeanstalt einzurichten. Er setzte ganz einfach Badekabinen auf zwei ausrangierte Kohlenkähne. Die Teilnehmer der Hattinger Badegesellschaft mussten Badeanzüge tragen, die den ganzen Körper bedeckten, um sittsam bekleidet zu sein. Sie konnten innerhalb ihrer Kabine eine Klappe öffnen und auf einem Holzrost hinabsteigen. Dann waren sie von fließendem Ruhrwasser umgeben. Selbstverständlich waren die Badezeiten für Männer und Frauen getrennt.
Entschieden anders ging es in meiner Jugendzeit zu. Ab dem Jahr 1937 hasteten mein Freund Franz und ich aus Klein Langenberg an sonnigen Tagen das steile Ruhrgässchen hinab und blickten gleich nach dem Bahnübergang auf das rege Treiben in der großflächig angelegten Badeanstalt. Sobald wir die Pontonbrücke betraten, geriet sie zu unserer Freude ins Schwanken. Anschließend auf der Plattform über der Flussmitte zahlte jeder zehn Reichspfennig Eintritt für den zeitlich unbegrenzten Tagesaufenthalt. Auf der großen Liegewiese fanden wir immer ein Plätzchen unter den schattigen Bäumen.
Frisch, fromm, fröhlich und frei stürmten wir mit kurzer Badehose ins Wasser bis zu den ersten „Pöhlen“. Das waren aneinander gekettete, glatte Baumstämme, die den Nichtschwimmer- vom Schwimmerbereich trennten. Hier konnte man sich nach Herzenslust tummeln und austoben. Auch das Schwimmen lernen. Die Ein- und Drei-Meter-Sprungbretter befanden sich in der Flussmitte am Plateau. An den heißen Tagen genossen hier bis zu tausend Badegäste Wasser, Luft und Sonne. Bei kühlem Wetter versuchte jeder Badende den „Golfstrom“ zu erreichen. Dabei handelte es sich um das abfließende Kühlwasser, das die Henrichshütte 500 Meter oberhalb der Badeanstalt in die Ruhr einleitete.
Bademeister Julius Stolle beobachtete von seinem erhöhten Sitz ständig den gesamten Badebetrieb. Wenn sich jemand nicht an die Vorschriften hielt, ertönte seine schrille Pfeife. Schwere Badeunfälle waren in all den Jahren nicht zu beklagen. Bei Stolle konnte man die Frei- und Fahrtenschwimmerprüfung ablegen. Getränke gab es am Verkaufsstand bei den Umkleidekabinen auf der großen Wiese. Interessant waren dort die grünen Sprudelflaschen mit dem „Knickel-Sekt“.
Spaßmacher und Clowns
An einem schönen Sommertag, es könnte im Jahre 1938 gewesen sein, erschienen auf dem Drei-Meter-Sprungbrett eine Gruppe von vier oder fünf Männern. Sie waren Spaßmacher und als Clowns oder Karnevals-Jecke verkleidet und machten da oben ihre Mätzchen, stritten und freuten sich. Dann fielen sie unter dem Beifall der Zuschauer nacheinander ins Wasser.
Wer nicht auf dem uralten holperigen Kopfsteinpflaster des Leinpfades spazieren gehen wollte, der konnte sich mit dem 15 Personen fassenden Motorschiff „Hanni“, das nahe der Badeanstalt ankerte, zum Rauendahl schippern lassen. Hell ertönte Hannis Schiffsglocke vor dem Ablegen. Vom linken Ruhrufer kamen die Betriebsgeräusche der Henrichshütte: von der Erzbahn, dem Stahlwerk und Hammerwerk. Das Schiff fuhr vorbei an dem kleinen und großen Gasometer sowie an der Mündung der Pannhütter Becke. Angler standen am Ufer, Wanderer ruhten im Gras. Auf der gegenüberliegenden Ruhrseite die großen Viehweiden bis hin zur Wuppertaler Straße und der Schepmannsche Hof.
Leider musste „Hanni“ ihren Dienst einstellen, weil Dieselkraftstoff nicht mehr zur Verfügung stand. Der wurde ab dem Jahr 1939 an den Kriegsfronten benötigt.
Die Flussbadeanstalt Stolle mit dem gesamten Umfeld war das erschwingliche Freizeitparadies vieler Hattinger Bürger. Die Epoche ging mit der Verlegung der Ruhr im Jahre 1959 zu Ende. Sie ist ist ein Stück Geschichte unserer Stadt.