Hattingen. Heimatfreund Gerhard Wojahn beschäftigt sich heute mit der Kleinen Weilstraße. „Tilly-Haus“ wurde nach dem Krieg abgerissen.


Die Verbindung in der Hattinger Altstadt von der Ecke Bahnhofstraße/Große Weilstraße bis zum Obermarkt heißt Kleine Weilstraße. Sie bestand in den 1930er Jahren aus etwa 20 Häusern in unterschiedlichem Baustil, in verschiedenen Größen und Höhen und ohne einheitliche Fluchtlinie. Geschäftslokale mit mannig­fachem Warenangebot säumten die schmale Straße. Die meisten Ladeninhaber wohnten in ihrem Geschäftshaus.

Im Hause Kleine Weilstraße 1 führte in jener Zeit Wilhelm Behrend ein Geschäft für Damen- und Herren-Confektion sowie Aussteuerartikel. Es folgte in Nr. 3 das „Atelier für feinen Damenputz Maria Knust“ und die Schneiderwerkstatt Heinrich Knust. Neben dem Haus Knust zweigt eine Gasse zur Grabenstraße ab. Dieser Komplex wurde auf Ansichtspostkarten auch Malerwinkel genannt, heute ist es die Zollhausgasse. Das Fachwerkhaus in der Bildmitte überbrückte die Grabenstraße und lag mit seiner hinteren Hälfte auf der Stadtmauer. Das Gebäude wurde im Zuge der Stadt­sanierung entfernt.

Nacheinander folgten zur damaligen Zeit drei Geschäfte mit Inhabern namens Röl, links in Nr. 13 das Lederwarengeschäft August Röl und in Nr. 15 die Bäckerei Karl Röl. Torten und Kuchen dieses Cafés, serviert von „Klagen Anna“, wurden oft gelobt. Anna unterhielt sich gern mit den Gästen über die schlechten Zeiten. In Nr. 17 gab es das Domizil des Fotografen Richard Borstell; bei ihm ließ ich mir im Jahr 1943 die Passbilder für die Bewerbung um eine Lehrstelle an­fertigen.

Anschließend kamen das Wohnhaus des Bürgermeisters Wittenius, das Sarglager Emil Stratmann und schließlich die Firma Hundt sel. Wwe, die seit dem Jahr 1884 die Hattinger Zeitung druckte.

Am Rückweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren Elektro Becker, Klempner von der Heydt, Metzger Paul Röl, Sattler August Blumeroth, Milchhandlung Reinhold Helf und in Haus-Nr. 4 August Schepmann mit dem Handel von Landesprodukten, wie Obst, Gemüse und Kartoffeln. Dessen Sohn Ernst August Schepmann wurde hier geboren. Er hat 50 Jahre als Schauspieler an vielen Bühnen mitgewirkt.

Das wohl interessanteste Gebäude trug die Hausnummer 2 mit dem Trarbacher Hof, letzter Inhaber Carl Scheer. Der einst stolze Fachwerkbau entstand schon vor dem Dreißigjährigen Krieg. Der kaiserliche Feldherr Johann Tserclaes Graf von Tilly, eine der herausragenden militärischen Figuren des Dreißigjährigen Krieges, hat auf seinem Feldzug nach Westfalen zwischen 1622 und 1628 zweimal in Hattingen Quartier genommen. Sein Besuch führte zu der Bezeichnung „Tilly-Haus“.

In diesem Lokal haben am 2. September 1895 etwa 100 Hattinger Veteranen das von Hattinger Bürgern gestiftete Frühstück eingenommen.

Balkenvoluten waren eine edle Zierde

Beim Luftangriff im März 1945 ist das „Tilly-Haus“ schwer beschädigt worden. Da es dazu auch noch als Verkehrshindernis eingestuft wurde, hat man es abgerissen. Aufgrund seiner Denkmalswürdigkeit hätte das Fachwerkhaus auch an anderer Stelle wieder aufgebaut werden können, vielleicht an der Emschestraße. Schade, denn allein die Balkenvoluten mit den dekorativen Figuren waren eine edle Zierde und machten das Gebäude zu einem Schmuckstück. Ein Wiederaufbau entfiel ohnehin, weil die Balken und die Zierhölzer unbemerkt abhanden gekommen waren.

Die Häuserzeile „Tilly-Haus – Schepmann – Helf“ ist von der Großen Weilstraße bis zur Ecke Krämersdorf in modernem Baustil errichtet worden.