Hattingen. Mit Kind auf dem Arm zum Protest: Die Fraueninitiative der Hütte gründete sich am 26. Februar 1987.
Tränen flossen natürlich – aber gleichzeitig haben die Hüttenfrauen viele mit ihrem starken Willen und ihrem Tatendrang überrascht. Nicht zuletzt sich selbst. Mit Kindern auf den Armen protestierten sie 1987 gegen die Stilllegung der Henrichshütte (und damit gegen den Verlust der Arbeitsplätze ihrer Männer), hielten Plakate hoch, auf denen sie verkündeten: „Wir können nicht nur Suppe kochen, wir werden auf unsere Rechte pochen!“
Ganz vorne mit dabei war Rita Sieberg-Karwatzki, damals mit einem fünfjährigen Sohn und einem Mann, der als Elektriker auf der Henrichshütte arbeitete. „Wir Frauen wollten eine Stilllegung nicht schweigend hinnehmen. Wir alle hatten Ängste um die Zukunft, um die eigenen Arbeitsplätze oder die der Männer, um die Ausbildungsstellen der Kinder und davor, dass Hattingen eine Geisterstadt werden könnte. Deshalb haben wir uns zusammengeschlossen“, erklärt Rita Sieberg-Karwatzki (57).
Ein Aufruf in der Hattinger Zeitung sorgte dafür, dass zum ersten Treffen gleich 80 Frauen kamen. „Anschließend engagierte sich ein aktiver Kreis von rund 40 Frauen, zu Höchstzeiten waren wir 120 – im Alter von Anfang 20 bis 80. Viele hatten es zuvor noch nie gewagt, sich für etwas einzusetzen. Jetzt informierten sie sich über Politik und Wirtschaft. Bei uns spielte es keine Rolle, welchen Glauben man hat, welcher Partei oder Initiative man angehört.“ Bei den wöchentlichen Treffen flossen Tränen. „Es tat gut, mit anderen Betroffenen zu reden, statt alleine zu Hause zu sitzen.“
Dann bildete sich der Sprecherinnenrat aus acht Frauen – darunter Rita Sieberg-Karwatzki. Die Frauen organisierten viele Proteste oder mischten mit, verkleideten sich als Gespenster, um auf die mögliche Folge einer Geisterstadt aufmerksam zu machen. Fünf Tage hungerten und zelteten sie vor dem Werkseingang der Henrichshütte, um Walter Scheel, den neutralen Mann im Aufsichtsrat von Thyssen, zu beeinflussen – vergeblich.
Die Kinder waren natürlich oft mit ihren Müttern bei den Aktionen dabei. „Manchmal haben sie gemeckert: Wir wollen jetzt aber spielen“, erinnert sich Rita Sieberg-Karwatzki. „Dann haben wir es in der Gruppe untereinander organisiert, damit sie bei irgendwem spielen konnten.“
Auch wenn sie die Stilllegung nicht aufhalten konnten, trafen sich die Frauen noch zwei Jahre danach. „Wir besuchten zudem Frauen in anderen Städten, die in ähnlichen Situationen waren, um ihnen von unseren Erfahrungen zu erzählen“, sagt Rita Sieberg-Karwatzki. Freundschaften von damals halten bis heute. „So traurig und anstrengend die Zeit damals war, wir haben auch immer gesungen und gelacht.“