Hattingen. Erinnerungen an den 18. März 1987, den Tag der Groß-Demonstration auf dem Rathausplatz.
Jeder Hattinger hat mindestens ein Familienmitglied, das einmal auf der Hütte gearbeitet hat – das wurde uns in der Schule immer wieder gesagt, und diese Tatsache stimmt auch heute vermutlich immer noch. Bei mir auf jeden Fall, denn es war mein Ur-Großvater, der um das Jahr 1900 auf der Henrichshütte malocht hat. Er war bei meiner Geburt längst verstorben, so dass er mir nie aus seinem Alltag erzählen konnte. Dafür habe ich ein anderes Erlebnis, das ich mit der Hütte verbinde – eines, das sich vielen in Zusammenhang mit dem Kampf um die knapp 5000 Arbeitsplätze eingebrannt hat: die große Demonstration auf dem Rathausplatz am 18. März 1987. Ich war als Schüler dabei, als an die 30 000 Menschen in mehreren Demonstrationszügen in die Innenstadt marschierten.
Man muss sagen, wie es ist: Ich war damals 13 Jahre alt, der eine oder andere Mitschüler war auch erst zwölf, und wir haben bis zu dieser März-Woche relativ wenig davon mitbekommen, was auf der Hütte gerade los war. Klar, da war eine gewisse Unruhe in der Stadt, was genau los war, wussten wir nicht (vielleicht wollten wir es instinktiv auch nicht genau wissen). „Die Großen“, wie wir die Oberstufen-Schüler damals noch respektsvoll nannten, waren sehr wohl im Bilde, auch weil das Thema bei ihnen wohl schon im Unterricht verankert war. Die Ansage am Gymnasium Waldstraße am Tag vor der Demo war dann unmissverständlich: „Morgen geht jeder Schüler mit zur Kundgebung auf dem Rathausplatz“, verkündete Schulleiter Dr. Lothar Esser. Die Klassenlehrer kontrollierten, dass bloß keiner ausbüxen konnte.
Und so ging es dann bei Schneeregen und frostigen Temperaturen die Friedrichstraße hinunter. Ich weiß es nicht mehr genau, aber 800 Schüler waren wir bestimmt. Von links kamen die Realschüler von der Grünstraße hinzu, an jeder Ecke schlossen sich mehr Menschen an – junge und alte, große und kleine, dicke und dünne, Ausländer und Ur-Hattinger. Der Querschnitt durch die Gesellschaft wurde zur Gemeinschaft, die sich hinter den Hüttenarbeitern versammelte.
Auf dem Rathausplatz folgte das, was als „Aufschrei der 30 000“ in die Geschichtsbücher dieser Stadt eingegangen ist. Die Kirchenglocken läuteten, die ganze Stadt war auf den Beinen. Die Hattinger stimmten mit den Füßen ab, sie stemmten sich gegen den geplanten Kahlschlag des Stahlkonzerns Thyssen und die somit ungewissen Zukunft ihrer Stadt.
Klar, diese Demonstration hat keinen Arbeitsplatz auf der Henrichshütte gerettet. Aber sie hat auch mit dafür gesorgt, dass keine Kündigung ausgesprochen wurde, dass ein engmaschiges soziales Netz geschnürt wurde. Und darauf darf jeder einzelne Teilnehmer ein bisschen stolz sein.
Schicklen Sie uns Ihre Hütten-Geschichte!
Erinnerungen an die Stahlzeit: In den besten Zeiten haben bis zu 10 000 Menschen auf der Henrichshütte gearbeitet, zum Zeitpunkt der Stilllegung vor 25 Jahren waren es noch knapp 5000. Für die meisten von ihnen war die Hütte das zweite Zuhause, ein Ort, an dem Arbeitskollegen zu Freunden wurden, an denen sich das eine oder Pärchen fürs Leben gefunden hat.
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