Hattingen. August Kuhnert ist bei den Demonstrationen immer vorweg marschiert. Der heute 78-Jährige wurde dadurch zum Gesicht des Hattinger Hüttenkampfes.

Der weiße Mond leuchtet über dem Hochofen, als der einstige „Silbermann“ langsam an ihm vorbeigeht. Es ist still, nur das Aufsetzen der Krücken ist zu hören, auf die sich August Kuhnert (78) stützt. Damals, im Jahr 1987, da war das anders. Da stand August Kuhnert jeden Tag ganz vorne bei den Demonstrationen gegen die Stilllegung der Henrichshütte und hat hartnäckig um seinen Arbeitsplatz gekämpft.

Das ist jetzt 25 Jahre her, doch die Erinnerungen sind noch alle da. Weil August Kuhnert Schmelzer war, musste er einen silbernen Schutzanzug tragen. Für die Proteste zog er ihn dann ebenfalls an, um Aufmerksamkeit zu erregen, und wurde zum „Silbermann“, zum Gesicht des Widerstandes. „Manchmal habe ich mir auch einen Strick um den Hals gehängt und wir haben einen Galgen gebaut, im Wohnzimmer haben wir Transparente gemalt. Meine Frau und ich waren jeden Tag auf Demonstrationen.“

Er schaut mit seinen hellen, blauen Augen auf. Rund 30 Jahre hat er auf der Hütte gearbeitet. Und da war es selbstverständlich für ihn, sich gegen die Schließung zu wehren. Noch heute kann er nicht verstehen, dass einige seiner Kollegen damals nicht mitgemacht haben. „Wer protestierte, hat für den verpassten Arbeitstag kein Geld bekommen“, erklärt er. „Da haben viele lieber gearbeitet.“ Ohne sich zu wehren.

Die Arbeit war hart. „Die Gießmaschine hat meine Knochen kaputtgemacht“, bedauert Kuhnert. „Wir haben Roheisen in Kokillen gegossen, wenn es kalt war, mussten wir das Eisen auf einen Waggon laden, ohne technische Hilfe, nur mit den Händen – und das Eisen wog mehr als 90 Kilogramm. Das habe ich etwa acht Jahre gemacht; es war das Schlimmste, was es gibt.“

Am meisten Spaß hat ihm die Tätigkeit im Hochofen-Leitstand gemacht. „Ich war quasi ein Telefonbuch, konnte bestimmt hundert Telefonnummern auswendig, habe ständig mit Stahlwerken, mit der Feuerwehr und Mitarbeitern gesprochen.“

Mit seiner Frau lebt August Kuhnert immer noch in Welper, obwohl er gebürtiger Niedersachse ist. „Hattingen ist meine Heimat geworden.“ Auch wenn die Vergangenheit nervenaufreibend war. „Nach der Stilllegung haben wir gesagt: ,Man sollte einfach alles abreißen.‘ Aber dass es ein Museum gibt, ist gut, so können viele sehen, wie es früher war.“

Langsam geht August Kuhnert am Hochofen vorbei, macht sich auf den Weg nach Hause. Dort liegt noch immer sein früherer Helm auf einem Tisch. Er ist silberfarben.

„Henrichshütte – 25 Jahre nach dem letzten Abstich“ mit vielen Facetten

In jeder Ausgabe bis zum Heiligen Abend beschäftigt sich die Hattinger Zeitung mit dem Ende der Henrichshütte vor nunmehr 25 Jahren.

Die Aufarbeitung des Jahres 1987 wird dabei viele verschiedene Facetten beinhalten – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden beschrieben.

Die Protagonisten kommen zu Wort, bekannte und eher unbekannte, die Arbeitnehmer- wie auch die Arbeitgeberseite. Viel Spaß bei der Lektüre!