Hattingen. Neues Zentrum für Kinder- und Jugendtrauerarbeit unterstützt bei der Verarbeitung des Verlusts.
Wenn Mama oder Papa sterben – durch Krankheit, einen Unfall oder gar Selbstmord – dann beginnt bei vielen Kindern das Kino im Kopf. Sie stellen sich alles Mögliche und Unmögliche vor, haben tausend Ängste – und Fragen, auf die sie in der Familie meist keine Antwort kriegen. Annette Wagner bietet in dieser Situation Rat und Hilfe. Die pädagogische Leiterin des Zentrums für Kinder- und Jugendtrauerarbeit, das der Verein für Trauerarbeit Hattingen vor zwei Wochen an der Lutherstraße in Witten eröffnete, hat sich jetzt zum ersten Mal mit ihrer neuen Gruppe getroffen.
Vier Mädchen, alle acht oder neun Jahre alt, sind gekommen. Mit gesenktem Kopf. „Die wollten eigentlich gar nicht hierher“, sagt Annette Wagner. Die beiden Jungs sind fünf und zwölf. „Ein mächtiger Altersunterschied.“ Doch der kleine habe sich sofort an den größeren gekrallt. Und die Diakonin weiß, wie sie Hürden beim ersten Kennenlernen überwindet: „Wir binden uns mit einem Bergsteigerseil aneinander und ich erkläre, dass wir nun eine Geheimbande sind.“
Annette Wagner arbeitet nach einem Konzept, das sie selbst entwickelte. Es ist angelehnt an das Hattinger Modell, das Pfarrerin Annedore Methfessel für den Verein konzipierte. Allerdings für Erwachsene. Annette Wagner änderte es entsprechend den Bedürfnissen ihrer jungen Teilnehmer. Sie lässt ihnen viel Zeit, sich mit der Trauer auseinanderzusetzen.
Erzählen, basteln oder malen
Das beginnt mit der Frage: Wie geht es mir jetzt? „Bei den meisten setzt das Bewusstsein, dass Mama oder Papa für immer fort sind, nach etwa vier Monaten ein“, weiß Wagner. Für die Kinder sei es existenziell zu wissen, wer stattdessen für sie da ist und z.B. den Kakao kocht, der die innere Kälte ein wenig vertreibt. Später widmen sich die Kinder der Vergangenheit. Sie denken an den Verstorbenen, an die Beerdigung und packen das Lieblingsbonbon des Bruders oder die Parfümflasche der Mutter in eine Erinnerungskiste. Zum Schluss der zehn Treffen geht es darum, wie das Leben in Zukunft aussehen kann.
Erzählen, basteln oder malen und zuletzt ein Spiel – die 90-minütigen Treffen mit den Kindern laufen nach einer festen Struktur ab. Jugendliche dagegen verbringen einen ganzen Samstag an der Lutherstraße. Mit ihnen kocht Annette Wagner gern. Oft geht es auch um Musik – von den Toten Hosen ebenso wie von Eric Clapton – die das Verarbeiten von Verlusten thematisiert. Doch ob Kinder oder Jugendliche: „Meine Aufgabe ist es, einen Raum zu schaffen, in dem sie untereinander die Solidarität von Gleichbetroffenen spüren.“ Und in dem sie weinen dürfen, „denn das ist hier nicht blöd“.