Essen. / Hattingen. Jahrelang soll ein 46 Jahre alter Hattinger seine anfangs 13 Jahre alte Stieftochter sexuell bedrängt haben. Dafür hatte ihn die V. Strafkammer am Landgericht Essen im Dezember 2010 zu zweieinhalb Jahren Haft wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt. Weil der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil aber aufhob, muss jetzt die III. Strafkammer das Verfahren komplett neu aufrollen.
Dem BGH fehlte im Urteil der V. Kammer die Antwort auf die Frage, ob die heute 19 Jahre alte Frau mit den Vorwürfen gegen den Stiefvater in den Trennungs- und Sorgerechtsstreit zwischen ihm und der Mutter eingreifen wollte und deshalb die Unwahrheit sagte. Hintergrund ist eine im Urteil festgehaltene Aussage der jungen Frau gegenüber der Mutter des Angeklagten. Sie wolle nicht, dass der Angeklagte das Sorgerecht für die Kinder erhalte, soll sie gesagt haben. Sie wolle dafür alles tun und habe sich auch schon im Internet schlau gemacht und etwas gefunden, was nur Kinder tun könnten. Wie die junge Frau diese Aussage erklärt, darüber fand der BGH im gesamten Urteil keinen einzigen Satz.
Intim berührt
So fängt die III. Essener Kammer jetzt wieder neu an. Laut Anklage soll der Stiefvater seine damals 13-jährige Tochter im Juli 2008 im Urlaub in der Nähe von Berlin bei der Fahrt auf einem kleinen Boot sexuell missbraucht haben. Er soll sie aufgefordert haben, den Bikini auszuziehen. Dann soll er sie mit Sonnenmilch eingecremt und intim berührt haben. Später soll er sie regelmäßig beim Gute-Nacht-Sagen im Kinderzimmer unter dem Schlafanzug unsittlich berührt haben.
Als das Mädchen sich im Dezember 2007 gegen die Übergriffe wehrte und drohte, der Mutter etwas zu erzählen, soll der Angeklagte von dem Kind abgelassen haben. Zur familiären Eskalation kam es, als die Mutter des Mädchens bei einem letzten Urlaub sich endgültig zur Trennung entschloss und das Mädchen dabei erzählte, dass es jahrelang vom Stiefvater missbraucht worden sei.
Keine sexuelle Motivation
Im ersten Prozess hatte der Angeklagte erklärt, er hätte die Stieftochter tatsächlich auf dem Boot eingecremt und sie auch abends oft massiert. Dabei hätte er das Kind möglicherweise versehentlich an intimen Stellen berührt. Sexuell motiviert sei er jedenfalls nicht gewesen.
Im neuen Verfahren versucht Richter Günter Busold dem mutmaßlichen Opfer die erneute Aussage zu ersparen. Er baut dem Angeklagten goldene Brücken, spricht von einer milderen Bestrafung wegen einfachen sexuellen Missbrauchs, wenn dieser sein gegenüber der Anklage abgeschwächtes Geständnis aus dem ersten Verfahren wiederholt. Doch der Angeklagte geht darauf nicht ein und schweigt, weil Staatsanwalt Gabriel Wais die Zustimmung zu diesem Vorgehen verweigert. Er will entweder eine Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs oder notfalls einen Freispruch. Jetzt wird vieles davon abhängen, wie das mutmaßliche Opfer am nächsten Prozesstag aussagen wird.