Hattingen. Betriebe setzen auf Probearbeit, um herauszufinden, welcher Auszubildende ins Unternehmen passt. Azubis erhalten im Praktikum Einblick in die Berufswelt.

„Pünktlichkeit hat für uns oberste Priorität“, stellt Julia Thiele vom gleichnamigen Bäckereibetrieb klar – ohne die richtige Einstellung kommen Auszubildende in ihrem Betrieb nicht weiter. Die Arbeitsauffassungen von Ausbildern und Azubis klaffen oft weit auseinander – ein Praktikum bietet die Möglichkeit, gegenseitige Erwartungen kennenzulernen und sich aufeinander abzustimmen.

„Normalerweise laden wir Ausbildungsbewerber zu einem Praktikum ein und schauen uns erst einmal an, ob sie geeignet sind“, erklärt Thiele. Das Ergebnis dieser Arbeit auf Probe ist für die 37-Jähige meist enttäuschend: „90 Prozent der Bewerber kommen nicht pünktlich und können auch sonstige Anforderungen nicht erfüllen.“ Damit soll jetzt erst einmal Schluss sein – Julia Thiele hat ihre Konsequenzen aus den negativen Erfahrungen gezogen: „Ich bilde in diesem Jahr keine neuen Lehrlinge aus – ein Azubi sollte schließlich keine Belastung, sondern eine Hilfe sein.“

Lediglich eine Auszubildende unterstützt die Thieles zurzeit im Bäckereibetrieb, alle anderen haben die dreijährige Lehre vorzeitig abgebrochen. „Es schreckt viele ab, nachts um 1 Uhr ihre Schicht in der Backstube zu beginnen“, sucht Thiele nach Begründungen für die Unzuverlässigkeit der Lehrlinge. Einzig Sarah Lachfeld hält in der Bäckerei die Stellung. „Die frühen Arbeitszeiten sind kein Problem“, überlegt die angehende Bäckereifachverkäuferin im dritten Lehrjahr. Die 21-Jährige habe sich mittlerweile daran gewöhnt, dass der Wecker auch mal mitten in der Nacht klingelt.

„Genau darauf möchten wir unsere späteren Azubis im Praktikum vorbereiten“, fügt Julia Thiele hinzu und trifft mit ihrer Aussage den Ton vieler Ausbilder in unserer Stadt: Praktika sind für Betriebe ein effektiver Weg, um herauszufinden, ob ein Bewerber zum Unternehmen passt – auf der anderen Seite kann sich auch der Praktikant ein Bild davon machen, was in einer möglichen Ausbildung auf ihn zukommt.

„Wir haben in dieser Woche vier neue Azubis eingestellt“, erklärt Ruth Hartleib, Ausbildungsleiterin der Spedition Kerkemeier. Ein weiterer potenzieller Kandidat absolviert zurzeit noch ein Praktikum, um sich einen Einblick in den Beruf zu verschaffen. Probleme mit frühen Arbeitszeiten gibt es nicht: „Die Lastkraftfahrer-Azubis müssen zwar um 6 Uhr morgens anfangen, aber die Jungs sind so heiß aufs Fahren, dass sie dafür gerne früh aufstehen.“ Natürlich übernehmen auch die Praktikanten regelmäßig Frühschichten: „Sie sollen wissen, was sie im Berufsalltag erwartet.“

Im Dachdecker-Betrieb Wilhelm Backhaus startet der Arbeitstag um 7 Uhr am Morgen. Bewerber können sich mit Probearbeiten auf Arbeitszeiten und Ausbildungsanforderungen einstellen, wie Inhaber Daniel Backhaus betont: „Wir bieten den Bewerbern die Möglichkeit eines Praktikums, um den Betrieb kennenzulernen.“ Allerdings habe nicht jeder die Zeit, dieses Angebot wahrzunehmen.

An einer zweiwöchigen Probearbeit kommen Ausbildungsbewerber auch im Restaurant Fachwerk nicht vorbei. „Wir möchten sehen, wen wir einstellen“, begründet Inhaber Semi Hassine diese Maßnahme und erzählt: „Bei unseren letzten Bewerbern haben wir nach der Probearbeit entschieden, dass es nicht passt.“ Daher sei eine Azubi-Stelle zurzeit noch unbesetzt. „Ich weiß nicht, ob die unregelmäßigen Arbeitszeiten in der Küche die Bewerber abschrecken“, überlegt Hassine, aber: „Wir weisen die Bewerber im Vorfeld darauf hin.“