Hattingen. Im Laufe der Zeit sind aus den Industriedenkmälern des Ruhrgebiets sehenswerte Museen, Parks, Bühnen und Ateliers geworden. Bei Touren und Besichtigungen bieten sich tiefe Einblicke in eine Region, die in der Industriekultur ihre kulturelle Identität bewahrt. Eine Reise zur Henrichshütte Hattingen.
Eines der traditionsreichsten Hüttenwerke der Region: die 1854 gegründete Henrichshütte. Hier wurden Erz und Kohle gefördert, Koks, Eisen und Stahl produziert, gegossen, gewalzt, geschmiedet und bearbeitet – alles unter einem Dach. Über 10.000 Menschen haben auf der Henrichshütte gearbeitet – ein Werk, das die Geschichte der Stadt prägte und zum Symbol wurde für Aufstieg, Blüte und Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie an der Ruhr.
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1987 wurden die Hochöfen für immer ausgeblasen – nach monatelangem „Hüttenkampf“ und gegen den erbitterten Widerstand der ganzen Region. Seit 1989 ist der Hochofen 3, der älteste im Ruhrgebiet, ein „Ausstellungsstück“ des Westfälischen Industriemuseums des Landschaftsverbandes Westfalen- Lippe. Nach umfangreichen Umbauten und Sanierungen führen heute drei Rundgänge durch das 50.000 Quadratmeter große Gelände der ehemaligen Henrichshütte.
Stimmungsvolle Spätschicht
So schlängelt sich etwa der „Weg des Eisens“ durch Erz- und Kohlebunker hindurch, vorbei an Maschinenhaus und Winderhitzern, hinauf auf den Hochofen 3 und wieder hinunter in die Gießhalle. Auf Fotos, in Texten, Filmen und Tonbandaufnahmen berichten Menschen von ihrer früheren Arbeit auf der Hütte und erzählen ihre Geschichte von Arbeit und Leben mit Eisen und Stahl. Bei den Führungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene kann man die Henrichshütte aus ganz verschiedenen Blickwinkeln kennen lernen – vom „Sonntags-Spaziergang“ bis zur Mitmach-Aktion in der Schaugießerei, von der „Ofenreise“ bis zur stimmungsvollen „Spätschicht“, einer Erlebnisführung durch das illuminierte Hüttenareal.
Henrichshütte Hattingen - von Graf Henrich zum Hüttenkampf
Etwa um 1850 hatte Graf Henrich zu Stolberg-Wernigerode einen neuen Standort für ein Eisenwerk gesucht. Vorhandene Kohlen- und Eisenflöze, die Vorzüge der Ruhr als Transportweg sowie der Sprockhöveler Bach als Antriebsquelle für mechanische Maschinen schienen Erfolg versprechende Standortvorteile zu sein: 1855 wurde der Hochofen 1 in Hattingen angeblasen – gegen Proteste der umliegenden Bauern, die sich gegen die sichtbaren Emissionen wandten: an der frischen Luft aufgehängte Wäsche musste mitunter wieder gewaschen werden.
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1869 erhielt die Hütte einen Gleisanschluss an die Ruhrtalbahn, da die Ruhrschifffahrt auch wegen häufiger Hochwasser nicht mehr rentabel war. Während des Ersten Weltkrieges wurden vor allem Kriegsgeräte bis hin zu Flugzeug- und U-Boot-Teilen produziert, Teile für den Eisenbahn- und Walzwerksektor sowie Kesselbleche.
Lautstarke Proteste
Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Hütte durch Luftangriffe der Alllierten fast vollständig zerstört worden. Im Zuge des Wiederaufbaus spezialisierte m an die Produktpalette und exportierte fortan weltweit unter anderem Reaktordruckgefäße, Bohrinselteile und High-Tech- Magneten für Kernforschungsanlagen. In den 1950er Jahren waren fast 11.000 Menschen in der Henrichshütte beschäftigt.
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Aufgrund des zunehmenden Flächenbedarfs wurde 1959 sogar die Ruhr verlegt. Infolge der Stahlkrise wurden ab 1963 erste Bereiche der Henrichshütte stillgelegt, 1987 der letzte Hochofen ausgeblasen. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und begleitet von lautstarken Protesten zerlegten chinesische Arbeiter ein Jahr später den Hochofen II in seine Einzelteile und bauten ihn in China zur Produktion wieder auf.
Die Ruhr wird von Wasserstraße zum Naherholungsziel
Hamburg liegt an der Elbe, Düsseldorf am Rhein. Und die Städte des Ruhrgebiets? Die meisten liegen mitnichten an dem Fluss, dem die ganze Region ihren Namen verdankt. Ganz tief im Süden des Reviers schlängelt sich die Ruhr durch ein schmales Tal, das heute ein Naherholungsgebiet ist. Vor 200 Jahren begann hier die Industrialisierung.
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Die technische Entwicklung der Steinkohlenförderung ging mit einem Aufschwung der Eisenverhüttung und des Maschinenbaus einher, was wiederum die Nachfrage nach Kohle steigerte. So entstanden aus anfänglich kleinen Familienunternehmen wie Dinnendahl, Harkort, Haniel und Jacobi größere Hüttenbetriebe und später die ersten Maschinenwerkstätten. Als die Ruhr 1780 zwischen Langschede und Unna bis zur Mündung in den Rhein bei Ruhrort schiffbar wurde, entwickelt sich der Fluss zur Pulsader der Region.
Transportiert wurden Handelsgüter und gewerbliche Produkte, ebenso wie die Kohle, die man in zunehmendem Maße in der näheren Umgebung abbaute. Seit 1787 fuhr im Rauendahl bei Bochum eine von Pferden gezogene Bahn auf Schienen die Kohle zur Verladestation an die Ruhr – vielleicht die erste „Eisenbahn“ auf deutschem Boden.
Industriegeschichtlich interessante Bauwerke
Die Kohlenkähne waren holländischen Plattbodenschiffen nicht unähnlich – zahlreiche Untiefen im Fluss erlaubten keinen Tiefgang. Flussabwärts ging die Fahrt meist unter Segel. Flussaufwärts erlaubte die Ruhr wegen mangelnder Breite kein Kreuzen gegen die Strömung – hier musste Muskelkraft eingesetzt werden. Wohlhabende Kapitäne ließen sich von Pferden auf Leinpfaden entlang der Ruhr stromaufwärts ziehen. Schleusen wurden gebaut, später Wasserkraftwerke und Stauseen wie der Baldeneysee im Essener Süden.
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Vielfältige industriegeschichtlich interessante Bauwerke entlang des Flusslaufes erzählen von der Zeit der frühen Industrialisierung der Region. Heute gehört der ehemals meistbefahrene Fluss Deutschlands den Freizeitskippern in ihren Motor- und Segelyachten, den Surfern und Kanuten, und vor allem den vielen Wasservögeln, die hier ihr Paradies gefunden haben.