Hattingen. Gerettete Entenküken haben noch einen langen Weg vor sich, bis sie zurück in die Freiheit kommen.
Im strömenden Regen watschelten fünf Entenküken hilflos über die vielbefahrene Hauptstraße in Herdecke. Zum Glück konnten sie bei dem Unwetter in der vergangenen Woche gerettet werden. Die Freiwillige Feuerwehr eilte herbei und packte die Küken in eine warme Decke. Mittlerweile sind die kleinen Stockenten in Stüter angekommen – an der Paasmühle beim Vogelexperten Thorsten Kestner (48). Er kümmert sich seit 30 Jahren ehrenamtlich um wilde Vögel. Das rund 15 000 Quadratmeter große Grundstück an der Paasstraße ist ein Paradies für verletzte oder junge, hilfebedürftige Vögel. Doch wie geht es den geretteten Küken ohne ihre Entenmama inzwischen? Die Hattinger Zeitung hat sie besucht.
Bevor wir in den Stall eintreten, in dem sich die Entenküken zurzeit befinden, begrüßen wir erst noch eine Ziege und einen Esel, die aussehen, als würden sie hier Wache halten. Dann öffnet Thorsten Kestner die hintere Tür des Stalls – und sofort piept hell und aufgeregt ein kleiner Haufen süßer Küken. Klitzekleine Schnäbel und Augen. Etwa 25 Küken – darunter unsere fünf – drängen sich so dicht sie können zusammen in eine Ecke, jeder will in die warme Mitte. Über ihnen leuchtet eine Infrarotlampe. „In der Natur bekommen sie die nötige Wärme vom Gefieder der Mama, unter das sie sich legen“, erklärt Kestner. „Entenküken ohne Mutter haben keine Chance alleine in der Wildnis zu überleben, sie haben außerdem zu viele Feinde: Ratten, Mader, Störche, Krähen, Reiher – alle fressen gerne kleine Entenküken. Sogar Erpel töten Küken, damit sie sich schneller mit der Mutter zur Paarung verabreden können.“
Auf der Straße hätten die Küken auch nicht mehr lange überleben können. Jetzt sind sie jedoch putzmunter. „Im Moment fressen sie Entenfutter und alle zusammen vier Kopfsalate am Tag.“ Das Gefieder der Küken sieht bräunlich und beige aus. „Weibchen und Männchen kann man in dem Alter nicht voneinander unterscheiden, erst nach etwa einem Jahr, nach dem ersten Mausern, dem Federwechsel.“ Dann sehen die Küken so schön aus wie die älteren Stockenten, die bereits draußen auf der Wiese und an den Teichen grün und lila schillern. Ein bisschen frische Luft haben die Küken hier aber auch schon geschnuppert. „Wir setzten sie in einen Korb und lassen sie dann in einem eingezäunten Bereich ein bisschen laufen, dort können sie auch schon das Schwimmen üben.“ In einigen Wochen, wenn sie größer und kräftiger sind und nicht mehr die Wärmelampe benötigen, bleiben sie den ganzen Tag im Außengehege. „Nur nachts sperren wir sie ein, damit keine Mader oder Füchse sie holen. Die Enten fressen dann schon von alleine viel Gras und Wasserpflanzen“, sagt Thorsten Kestner. „In der neunten Woche binden wir ihnen Ringe von der Vogelwarte Helgoland mit Nummern um, und sie leben an einer größeren Teichanlage.“
Wenn sie dort angekommen sind, haben sie es geschafft. Ab der zehnten Woche fliegen die Enten davon ohne Tschüs zu sagen. „Von hier aus nach ganz Deutschland, sogar bis nach Borkum. Wenn sie von hier aus starten, sind sie in fünf Minuten am Kemnader See angekommen“, sagt Kestner. „Für Enten ist das kein Problem. Schwäne hingegen müssen wir am See aussetzen. Die sind zu blöd, sie brauchen eine längere Startbahn für den Abflug und knallen dann schon mal gegen ein Pferd oder einen Baum. Enten starten fast senkrecht.“
Noch ist es aber nicht so weit. Die Küken sind so süß und klein. Und im Moment fühlen sie sich hier richtig wohl. Denn auch wenn die meisten Hattinger über den Regen schimpfen. „Enten lieben die Nässe und den Schlamm.“
„Vögel sollen nicht zahm werden“
Rund 500 Entenküken pro Jahr versorgt Thorsten Kestner ehrenamtlich an der Paasmühle. Außerdem etwa 700 verletzte Vögel anderer Arten. „Uhus und Bussarde, weil es von ihnen in unserer Region zurzeit viele gibt, aber auch Kanadagänse, Schwarzstörche oder Fischadler“, so Kestner.
Die Vögel, die zu ihm kommen, wurden angeschossen, von Autos verletzt oder von Katzen angegriffen, haben Rattengift gefressen oder sich im Stacheldraht verfangen. „Im Ruhrgebiet gibt es viele Gefahren für Vögel“, weiß Thorsten Kestner. „Andererseits sind auch viele Menschen da, die einen verletzten Vogel finden können.“ Kestner arbeitet mit Tierärzten zusammen, verpflegt und füttert die Vögel schließlich, bis sie wieder alleine in der Natur zurechtkommen. „Vögel sollen nicht zahm werden. Ich bekomme manchmal Kanadagänse, die sich am Anfang zu mir auf den Schoß setzen wollen; je besser ich bin, desto scheuer werden sie wieder gegenüber Menschen.“
Thorsten Kestner bringt auch Feuerwehrmännern, Mitarbeitern von Tierheimen und Tierarzthelfern den richtigen Umgang mit Greifvögeln bei. „Es ist wichtig zu wissen, wie man einen Reiher anfassen muss, damit man weder sich selbst noch den Vogel verletzt. Reiher stechen gerne mit ihren Schnäbeln zu.“ Außerdem: „Viele denken, es wäre gut, die verletzten, eingefangenen Vögel in einem Käfig zu transportieren, aber dabei können sie sich am Gefieder verletzen. Am besten ist ein großer Karton, der glatte Seiten hat und dunkel ist“, so Kestner.
Auch Kindern möchte er die Natur näher bringen. „Neben den Vögeln zeigen wir Kindern unser Bienenhaus, wollen bald einen Waldameisenhaufen holen“, so Kestner. „Wir erklären ihnen einheimische Pflanzen, die hier überall wachsen. Viele Leute haben heute Buchsbaum und andere Pflanzen in ihren Gärten, in denen die Vögel unserer Region weder brüten noch etwas zum Fressen finden können.“