Hattingen. . Erkan Cöloglu erinnert sich an den 11. September 2001 und erklärt, warum nur der Dialog die Vorbehalte verdrängen kann
Als die Welt den Atem anhält, drehen die Mitarbeiter in der Werkstatt der Elektronikfirma Paul Pleiger im Hammertal das Radio lauter. Einer von denen, die hier und auf diese Weise vom Terroranschlag in den USA erfahren, ist Erkan Cöloglu. 23 Jahre alt ist der Elektrotechniker, ein gebürtiger Hattinger mit türkischen Wurzeln, im September 2001. Zehn Jahre später sitzt Cöloglu, heute Vorsitzender der Türkisch Islamischen Gemeinde in Hattingen sowie des Integrationsrates der Stadt, in der Redaktion der Hattinger Zeitung und erinnert sich.
„Wir waren schockiert, gelähmt. Wir konnten es nicht glauben“, sagt der 33-Jährige. In den ersten Stunden hören sie nur von den schrecklichen Ereignissen, die sich in den USA abspielen. Einen Fernseher gibt es nicht. Und: auch keine Vorwürfe oder Anfeindungen deutscher Arbeitskollegen. „So kurz nach der Tat war Religion noch kein Thema“, berichtet Erkan Cöloglu, damals der einzige Muslime im Betrieb.
Am nächsten Tag ist alles anders. Dauerhaft anders. Muslime haben es schwerer. In der Welt. In Deutschland. In Hattingen. Erkan Cöloglu hat aus seiner sehr strengen Gläubigkeit nie einen Hehl gemacht. Er betet fünfmal am Tag. Er fastet. Von einem Tag auf den anderen schieben sich über zurückhaltendes Interesse oder betonte Gleichgültigkeit der Deutschen gegenüber den Muslimen nun spürbare Skepsis und offene Ablehnung. Die Kulturen rücken auseinander.
Erkan Cöloglu nimmt das wahr am Tag nach dem 11. September 2001. In der Nacht hat er mit Freunden und der Familie noch lange diskutiert. Alle sind sich einig: „Die Terroranschläge sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir trauern mit Freunden und Familien der Opfer.“
Zwei Sätze, die Cöloglu immer wieder sagen muss in den Wochen und Monaten nach dem Tag, der die Welt veränderte. „Wir Muslime waren auf einmal pauschal verdächtig, pauschal bedrohlich, pauschal gewalttätig. Die gesellschaftliche Ausgrenzung war mit Händen zu greifen“, erinnert sich Erkan Cöloglu, der bereits damals Mitglied im Moscheeverein war. Sie hätten überlegt, wie man die Öffentlichkeit von dem überzeugen könne, was ihnen wichtig und richtig erschien. Cöloglu: „Das Wort ,Islam’ bedeutet Frieden. Terrorismus hat keine Religion. Nur: Das wollte damals niemand mehr hören. Mir war klar, dass es bis zur Kultur der Toleranz ein langer Weg sein würde. Wir sind noch lange nicht angekommen.“
Als aktuellen Beleg dafür nennt der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde in Hattingen das Attentat in Norwegen. Alle hätten reflexartig geglaubt, da seien wieder mal Muslime am bösen Werk gewesen. Bis sich dann herausstellte, dass der Massenmörder ein norwegischer Rechtsradikaler war.
„Die Islamfeindlichkeit in Deutschland ist nicht nur da“, sagt Cöloglu, „sie wird zudem stark unterschätzt. Es ist schlimm, dass islamfeindliche Literatur über Nacht zum Bestseller wird.“
Helfen könne da nur Offenheit, Ehrlichkeit – dazu müsse man miteinander reden.
Auch über Parallelgesellschaften, Ehrenmorde, Integrationsblockade?
„Ja, natürlich auch darüber. Es gehören immer zwei Seiten zu einem Dialog“, versichert Hattingens türkischer Spitzenfunktionär, der am Donnerstag geheiratet hat und in Kürze auch deutscher Staatsbürger sein wird. Vorbehalte versperren, Dialoge öffnen Türen. Die Tore der Türkisch-Islamischen Gemeinde, ausdrücklich auch die der Fatih-Moschee an der Martin-Luther-Straße 24, hält Erkan Cöloglu für die Begegnung mit Christen offen und will das auch weiterhin tun. Allerdings sei es so, dass zu Kulturfesten oder ähnlichen Gesprächsangeboten nur selten die mit den Vorbehalten kommen.