Hattingen.
Im Bunker unter Tage: Der Luftschutzstollen der Henrichshütte birgt zahlreiche Relikte.
Einst waren es die Hochbauten der Henrichshütte, die Auswärtige und Einheimische gleichermaßen in ihren Bann zogen. Nicht minder spannend ist die Hütte von unten. Aushängeschild des ehemals umfangreichen Kellersystems ist der Stollen unterhalb des Wasserturms.
Der Stollen wurde im Jahr 1943 angelegt. In ihm suchten bis zu 250 Personen Schutz bei Fliegerangriffen – eine andere Funktion hat er nie gehabt. Anders sieht es in der benachbarten Möllerung aus. Hier lagerten ursprünglich Rohstoffe und Ersatzteile für die Hochöfen, im Zweiten Weltkrieg dienten sie zusätzlich als Schutzräume. Der bekannteste unter ihnen dürfte der Keller acht sein, der vom Industriemuseum auch für Veranstaltungen genutzt wird.
Doch Keller acht ist kein Einzelkind. In einem benachbarten Stollen, wo der Besucherstrom des Industriemuseums nicht hinkommt, verbirgt sich hinter einer eisernen Tür ein weiterer Hohlraum, an dessen Ende sich eine weitere Tür befindet. Sie ist nicht verschlossen, sondern steht weit auf. Deshalb ist sie unscheinbar. „Werfen Sie doch mal einen Blick auf die Tür“, sagt Wilfried Maehler vom Studienkreis Bochumer Bunker. In noch gut lesbaren Buchstaben steht darauf geschrieben: Betriebskrankenkasse.
Dr. Olaf Schmidt-Rutsch, wissenschaftlicher Referent des Industriemuseums, erläutert: „Das war die sogenannte U-Verlagerung der Betriebskrankenkasse. Hier haben die Mitarbeiter wichtige Unterlagen untergebracht.“ Die zahlreichen Zwangsarbeiter waren in einem Luftschutzraum nebenan untergebracht, in den großen Stollenbunker gingen auch hochrangige Mitarbeiter. Sie genossen hier entsprechenden Schutz. Maehler: „Das sieht man schon an den Außenmauern, die mit 2,54 Metern überdurchschnittlich dick waren. Zum Vergleich: Der Hochbunker, den wir heute als Satkom-Tower kennen, hatte nur eine Mauerdicke von 2,10 Metern.“
Drei Monate benötigten die Arbeiter für den Bau des 151 Meter langen Schutzraumes.
„An der Art und Weise, wie der Bunker in den Berg getrieben wurde, erkennt man, dass auch Fachkräfte am Werk gewesen sein müssen, die sich im Bergbau auskennen“, fügt Maehler hinzu. Als Beispiel verweist er auf Nischen in den Wänden, die im Falle einer räumlich nahen Detonation einer Bombe den Druck abgefangen haben. „Das basiert auf Erfahrungen mit Schlagwetterexplosionen unter Tage.“
Viele Überreste sind im Bunker erhalten geblieben. Die Drehkolbenlüfter erkennt der Fachmann sofort. „Die Bedienung war häufig eine Strafmaßnahme“ schildert Maehler. „Disziplin im Bunker war wichtig, wer sich nicht daran hielt, wurde zum Kurbeln verdonnert.“ Die bestehenden Lüfter sind schon ziemlich verrottet, der Selbstversuch ist zum Scheitern verurteilt. Noch. „Einen Lüfter zum Kurbeln werden wir demnächst bekommen“, sagt Olaf Schmidt-Rutsch. „Damit wollen wir auch ein Gespür für diese Technik erzeugen.“
Der Bunker taugt darüber hinaus auch als Spielplatz für Biologen und Geologen. Schmidt-Rutsch: Mit der entsprechenden Ausrüstung könnte man hier drin auch Mikroorganismen finden. Im Bunker lässt es sich leben, auch im Winter. Denn es ist nicht so eisig wie draußen. Eine Spinne hat sich den einstigen Schutzraum deshalb als Winterquartier ausgesucht. Sie grüßt gleich am Eingang.
Neue Adventsserie: Keller
Die Hattinger Zeitung öffnet jeden Tag ein Türchen – in diesem Jahr schauen wir uns in den Kellern der Stadt um. So geht es zum Beispiel in ein dort untergebrachtes Künstler-Atelier, in eine Fußball-Umkleide, in den Proberaum-Bunker für junge Bands oder ins Krankenhaus. Den Auftakt macht heute ein Blick in die Bunkeranlage unter der Henrichshütte.