Hattingen. .

Janina Jacke überzeugt beim 20. Hattinger Förderpreis für junge Literatur die Jury mit einer Wohnungsgeschichte. Joan Weng erobert das Publikum mit müden Tulpen.

„Schreiben heißt, sich selber lesen“, mit diesen passenden Worten läutete Jürgen Wilbert, Mitglied des Stadtmuseum-Fördervereins, die Lesung zum 20. Hattinger Förderpreis für junge Literatur ein.

Mit Andrea Springer (Gießen), Janina Jacke (Hamburg), Cornelia Johnen (Bochum/Aachen), Ute Hanel (Wien), Valerie Katrin Fritsch (Graz), Joan Weng (Ludwigburg), Lene Albrecht (Berlin) und Marie Michael (Mittenwalde) hatte die Jury ausschließlich Autorinnen ausgewählt, die am Sonntag ihre Kurzgeschichten im Stadtmuseum vor rund 50 aufmerksamen Zuhörern präsentierten.

Knappe Abstimmung

Preisträgerin 2010 ist Janina Jacke (24). Sie überzeugte die Jury mit ihrer Kurzgeschichte „Deine Wohnung“. Die Gewinnerin stand vor der Lesung zwar bereits fest. Verkündet wurde dies aber erst, nachdem die Acht ihre Texte vorgelesen hatten. Schließlich sollten die Zuhörer unbeeinflusst die Trägerin des Publikumspreises ermitteln. Letztere kürten nach knapper Abstimmung Joan Weng und ihr Werk „Die müden Tulpen von H.“ zu ihrem Favoriten.

„Die beiden Gewinnerinnen werden im nächsten Frühjahr nach Hattingen eingeladen“, erklärte Jury-Mitglied und Kubischu-Urgestein Hellmut Lemmer. Die beiden Frauen würden dann eine Lesung halten und bekämen jeweils 250 Euro. „Das Beste, was wir ihnen liefern können, ist Zuhörerschaft“, machte er den weniger monetären Charakter des wichtigen Hattinger Literaturpreises deutlich.

Bereits beim Anhören des Beitrages von Janina Jacke hätte der gewiefte Zuhörer erahnen können, dass es sich bei „Deine Wohnung“ nicht nur um eine inhaltlich sehr gute, zeitgenössische Kurzgeschichte handelt. Den Text kann man in seiner Komposition vielmehr als Gesamtkunstwerk aus Inhalt, Form, Struktur, Erzählstil und Wortwahl bezeichnen. Einem Liebesbrief gleichkommend, beschreibt die nicht näher definierte Protagonistin die Wohnräume ihres Auserwählten, welche für ihre Zweierbeziehung eigentlich zu klein sind.

Mit ruhiger Stimme

„Ich mag Deinen Balkon, er ist wie eine fehlende Ecke Deines Wohnzimmers“, las die sympathische 24-jährige Studentin mit ruhiger Stimme ihre Geschichte. Aufgeteilt in acht Kapitel führt die Liebesbekundung der Protagonisten zuerst vom Balkon zum Wohnzimmer. „Wir können nicht, weil das Wohnzimmer uns festhält“ lautet es etwa an der Stelle, wo die Protagonistin ihren Freunden per Email erklärt, warum sie nicht zur Party kommt.

Als kurzes Intermezzo folgt in ihrer Geschichte der nichtssagende Flur, aber auch der kleine, darauffolgende Raum hat seine Tücken: Die Küche ist eben nicht immer der beste Ort für das Schicksal von Beziehungen. Mit dem Stichwort „Flur reprise“ kehrt Janina Jackes Figur zurück zum bedeutungslosen Zwischenraum, um sich im nächsten Kapitel dem Badezimmer und – man mag es ahnen – durchaus erotisch der Badewanne zu widmen. Dort ist es gleichsam amüsant und abscheulich, weil die Verliebte nachts selbst den „Silberfischen, die über Fliesen fließen“ etwas schönes abgewinnen kann. Auf das erneute „Flur reprise“ folgt der stets schmerzende Abschied, die Wohnungstür. Doch was wäre eine Geschichte ohne Happy-End und die entsprechenden Zeilen. Der Angebetete kommt zur alles entscheidenden Einsicht: „Ich ziehe aus. Meine Wohnung ist zu klein für uns zwei.“