Hattingen.

1805 gründete August Weygand seine Kornbrennerei. Ihre Gebäude prägten das Bild der Innenstadt.

Inzwischen leben in Hattingen Menschen, die nur noch aus Erzählungen wissen, dass dort, wo heute das Reschop-Carré steht, früher ein Parkhaus und der Busbahnhof ihren Platz hatten. Einige werden sich noch weiter zurück erinnern und vielleicht Durst auf einen Schnaps bekommen. Denn von 1805 an stand hier bis 1972 die Brennerei Weygand.

Das Unternehmen markiert nicht nur wegen seiner zentralen Lage einen wichtigen Baustein der heimischen Wirtschaftsgeschichte. Denn flächenmäßig gehörte praktisch die gesamte Südstadt zum Weygandschen Besitz. Sie wurde landwirtschaftlich genutzt. Damit stellt das eher kleine Familienunternehmen sogar die Henrichshütte in den Schatten.

Nach wie vor weilen Zeitzeugen unter uns, die sich ganz genau an die Firma erinnern. Zu ihnen gehört der Heimatforscher und gebürtige Hattinger Günther Wojahn. „Mein Vater Emil arbeitete von 1933 bis 1946 für Weygand. Er war in der Landwirtschaft beschäftigt, fuhr das Korn von den Feldern ein und versorgte das Vieh.“

Die Wojahns bezogen auf Vaters Anstellung hin eine Werkswohnung in unmittelbarer Nähe zur Brennerei. „Wir wohnten zwischen der Großen Weilstraße und dem heutigen Carré“, erinnert sich der inzwischen 81-jährige Günther Wojahn. Er beschreibt die Firma als „wohlgeordnet klein“. Der Chef kümmerte sich persönlich um seine sechs bis sieben Angestellten.

Während des Zweiten Weltkrieges erhielt jeder monatlich eine Flasche Korn gratis. Wojahn: „Das war zu dieser Zeit ein echtes Kapital. Als dann gegen Kriegsende die Alliierten kamen, leerte Weygand seine Kessel und Tanks . Es bestand die Gefahr, dass sich die Soldaten betrinken und für Ärger sorgten.

Etwas mehr hatte Weygand für die Bauern aus der Umgebung übrig: Schlempe. „Das war eigentlich ein Abfallprodukt, das bei der Herstellung des Korns anfiel und als hundertprozent alkoholfrei galt. Die Bauern holten sich die Schlempe ab und fütterten damit ihre Kühe.“ Immer wenn die Schlempe abgefüllt wurde, lag ein süßlicher Geruch in der Stadt. „Aber der störte niemanden“.

Zwölf Gebäude standen einst auf dem Kerngelände. Eines ihrer Wahrzeichen war der 48 Meter hohe rote Schornstein. Er wurde 1972 gesprengt und markiert das Ende der Hattinger Firmengeschichte. Finanzielle Engpässe waren nicht die Ursache. Wojahn: „Die Stadt hatte Ende der 60er Jahre ein Auge auf das Grundstück geworfen. Sie wollte dort ein Kaufhaus errichten.“ Mit Weygands Nachkommen wurde eine Einigung über das Grundstück erzielt und das Unternehmen verkauft. Der Werner Schnapsfabrikant Hans Rother erwarb Lizenzen und Rezepte und verpflichtete sich, noch bis 1983 Weygand-Produkte auf den Markt zu bringen.

Inzwischen ist aber auch der Name Rother aus der Branche verschwunden. Hans Rothers Sohn Hartmut erläutert: „Wir waren mit einer Brennerei in Werne bis 1985 und einer weiteren in Mönchengladbach bis zum Jahr 2000 im Geschäft, seitdem gibt es keine EU-Förderung gewerblicher Brennereien mehr.“ So ging also eine 195-Jährige Ära endgültig zu Ende, die 1805 auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes Kliff in Hattingen begann und die Stadt bis weit über ihre Grenzen hinaus bekannt und berühmt machte.