Hattingen.
Bernd Neuenhaus kommt mit seiner Familie mit dem Geld über die Runden. So richtig wütend macht den 59-Jährigen aber Guido Westerwelle.
Hartz IV ist für Bernd Neuenhaus eine Tatsache, mit der er lebt. So wie seine Frau und die beiden Kinder auch. Stolz könne da keiner drauf sein, sagt der 59-Jährige. Aber er habe sich damit abgefunden: „Ich bin doch kein Träumer“, sagt er mit Blick auf sein Alter.
Bernd Neuenhaus kennt auch das andere Leben: mit Eigentumswohnung, Auto, Festanstellung. Der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann hat 1972 auf der Henrichshütte im kaufmännischen Bereich angefangen. Damals war der gebürtige Hattinger sicher: „Hier bleibst du“. Er habe doch nicht ahnen können, dass eine so große Firma platt geht. Für ihn folgten weitere Jobs. Und irgendwann Hartz IV. Damit geht Bernd Neuenhaus offensiv um: „Ich bin keiner, der sich versteckt“. Es gebe viele Menschen, die alle Kontakte abbrechen, weil sie sich schämen. Das kann der 59-Jährige schon wegen seiner Kinder nicht. „Bei den Kindern geht alles“, sagt der Vater. Die Siebenjährige geht zum Teakwondo und zu Geburtstagen. Die Jüngere bleibt bis nachmittags in der Betreuungsgruppe. „Das erlauben wir uns“, sagt Neuenhaus. Beide Töchter sollen die besten Voraussetzungen für später haben – ohne Hartz IV. Soziale Kontakte seien wichtig. Für die Betreuung übernehme die Stadt die Hälfte der Kosten. Der Kindergarten sei für sie kostenlos. Daher klage er nicht: „Mit dem Geld, das der Staat uns gibt, kommen wir über die Runden“. Für Familien werde da einiges getan, auch bei Hartz IV. Telefon, Internet, Fernseher, das sei möglich. Essen gehen sie zwar nicht. Sie haben keine Versicherungen, aber eine schöne Wohnung, die bezahlt werde. Sie sind gerade umgezogen, haben sich eine Küche gekauft – zum halben Preis
Schwieriger stellt sich Bernd Neuenhaus die Situation für Alleinlebende vor. Fragt sich, was 20- oder 30-Jährige heute für Lebensperspektiven hätten, wenn sie ihren Hausstand gründen wollen: „Hartz IV kann es nicht sein.“
Worauf Familie Neuenhaus achtet, ist ein geregelter Tagesablauf, der mit dem gemeinsame Frühstück beginnt. Montag bis Samstag hilft der Vater jeweils fünf Stunden bei der Tafel, sammelt Lebensmittelspenden ein. „Dadurch erhalte ich mir eine gewisse Normalität“. Er habe damit auch einen Antrieb, morgens regelmäßig früh aufzustehen. „Armer hilft ganz Armen“, kommentiert er sein Ehrenamt. Zur Tafel kam er über seinen Ein-Euro-Job, für den er sehr dankbar war: „Wer sich dagegen wehrt, sollte überhaupt kein Geld bekommen.“
Zur Tafel würde Bernd Neuenhaus gern Guido Westerwelle einladen. Der FDP-Politiker ist für den Hattinger ein rotes Tuch. „Der hetzt mit seiner Nachrede übelster Art die Arbeitenden gegen die Nicht-Arbeitenden auf.“ Der sollte mit seinem Partner drei Monate von Hartz IV leben. Und sich der Lebenswirklichkeit stellen. Westerwelle solle sich um Mindestlöhne, Aufstocker und Altersarmut kümmern. „Sonst werden die Armen zu ganz Armen.“ Der sei ja im übrigen Außenminister: „Hat der nichts zu tun?“ Warum regt der sich so über Hartz-IV-Empfänger auf? Westerwelle mache alle Arbeitslosen zu Sozialbetrügern. Die Betrüger seien woanders, in ganz anderen Dimensionen. Doch über die Banker habe sich der Politiker noch nicht ausgelassen.
Bernd Neuenhaus hofft auf Bildung und Chancengleichheit für alle. „Doch Hartz IV hat keine Lobby“. Die Sozialverbände haben keine Macht. Die hätten Leute wie Westerwelle. Dem reiche die Armut wohl nicht. „Und Hartz IV ist Armut. Danach kommt Elend.“ Arbeit muss sich lohnen, findet Bernd Neuenhaus und fragt sich: „Wo ist Arbeit?“
Für den Familienvater wäre es sehr schwer, den Betrag zu erwirtschaften, den sie jetzt vom Staat bekommen. „Über die Sätze beschwere ich mich nicht, das sind ja Sozialsätze.“ Das bedeutet keinesfalls, dass er zufrieden mit seiner Situation ist: „ Aber was soll ich mit fast 60 für berufliche Perspektiven haben?“ Die wünscht er seinen Töchtern, sorgt sich gleichzeitig um ihre Zukunft: „Ich kann ihnen nicht alles bieten, aber wenigstens vernünftige Ansätze.“