Hattingen. Die Lebenshilfe beim Holthauser Rosenmontagszug: Wie Menschen mit Behinderungen den Karneval erleben und bereichern.
Sandra strahlt über das ganze Gesicht. Sie hat sich besonders hübsch gemacht, denn heute ist sie eine Prinzessin. Ihr rosarotes Kleid, die blonde Perücke und die silberne Krone sind leicht verrutscht, die Schminke verblasst. Dafür glühen die Wangen und glänzen die Augen, als sich der Wagen der Lebenshilfe Hattingen in Bewegung setzt.
„Sitzen bleiben und festhalten”, bellt Petra Bauer, die den bunten Motto-Wagen gemeinsam mit behinderten Bewohnern des Ellen-Buchner-Hauses an der Ketteltasche gebaut und bemalt hat. „Der hat uns viel Arbeit gekostet”, sagt Erika, eine Bewohnerin, und schlägt wie zum Beweis gegen die Seitenwand aus Sperrholz, auf der verwunschene Bäume prangen. Das diesjährige Thema: „Märchenwald” findet bei den behinderten Menschen großen Zuspruch: Zwerge, Elfen und Kobolde umschwirren den Rosenmontagswagen.
Strahlende Gesichter
„Jetzt geht's los” ruft Gisela begeistert und greift mit beiden Händen in den großen Sack mit dem Popcorn. Auf die traditionellen Kamelle verzichtet die Lebenshilfe in diesem Jahr: „Nach Bonbons bückt sich doch kein Mensch mehr”, sagt Betreuerin Christine Graue. Wohl aber nach den Beuteln, die Sandra und Gisela in die Spalier stehende Menge werfen. Wenn es nach den beiden ginge, wären die Vorräte schon nach wenigen Metern aufgebraucht, aber es geht nicht nach ihnen, sondern nach Petra Bauer, die ihre Schützlinge streng, aber fröhlich zur Ordnung ruft: „Verpulvert noch nicht alles, Mädels. Wir fahren noch lange genug.” Doch Gisela und Sandra sind in ihrem Element: Immer wieder schauen sich die beiden Frauen an, werfen händeweise Popcorn ins Publikum und freuen sich diebisch, wenn sie einem kleinen Piraten oder einer kleinen Pipi Langstrumpf eine Freude machen. Uwe, der sich als König verkleidet hat, ist da viel zurückhaltender: Er wirft die Päckchen zögerlich, fast zärtlich zu den Kindern, zu denen er zuvor Blickkontakt gesucht hat. Für Manuel ist das alles ein bisschen zu viel. Während der ganzen Fahrt hält er sich die Ohren zu. Erst bei DJ Ötzis „Hey, Baby” nimmt er die Hände von den Ohren und singt mit. Sandra neben ihm mag es traditioneller: Die Prinzessin klopft den Rhythmus des Fanfarenchors Rot-Weiss sicher mit. „Hast du das geseh'n”, raunt sie Gisela zu, als der Zug eine Gruppe vollgerüsteter und bis an die Zähne bewaffneter Kreuzritter passiert. Doch die Angesprochene reagiert nicht: Sie ist aufge-sprungen und rudert mit den Armen, winkt mit den Händen und ruft: „Holti Helau.”
Keiner muss zu Hause bleiben
Doch im Wagen der Lebenshilfe finden längst nicht alle Bewohner der beiden Hattinger Häuser ihren Platz: Wer besonders gut zu Fuß ist, darf hinter dem Wagen marschieren. Eine bunte Schelmenschar zieht so johlend und krakeelend durch Holthausen. Brigitte und Erika sind dabei, beide als Feen kostümiert, beide in Hochstimmung. Wem das Laufen schwer fällt, der sitzt in einem kleinen Transporter und hat es warm – zu Hause bleiben muss niemand.
Überhaupt: Die meisten Bewohner haben sich sehr auf den Rosenmontagszug gefreut und schaut etwas ungläubig, als die Fahrt nach fast zwei Stunden endet. „Nächstes Jahr”, sagt Erika, „nächstes Jahr sind wir wieder dabei."